Donald Fagen - Sunken Condos
Es gehört schon einige Chuzpe dazu, als
Musiker in diesen Zeiten zur Promotion eines neuen Albums nach sechs
Jahren Schaffenspause auf seine Homepage ein YouTube-Video zu stellen,
das anstelle eines speziell dafür angefertigten Films geschlagene
viereinhalb Minuten lang nichts anderes zeigt als das Covermotiv der CD.
Donald Fagen, die vorzugsweise grimmig in die Kamera schauende bessere
Hälfte des Duos Steely Dan, kann sich das offenbar leisten. Oder es ist
ihm egal. Das Publikum, das Fagen beim Songschreiben möglicherweise im
Visier hat, gibt auf so neumodisches Zeug wie Videos sowieso nicht viel.
Die Connaisseure dieser Sparte des Pop, die ungeachtet all ihrer
Coolness immer alt war und nie jung, die wollen durch die Qualität der
Musik gewonnen werden, durch das Raffinement von Texten und
Arrangements.
So gesehen, hat Fagen in der ihm
eigenen lebensvergrätzten Lässigkeit mal wieder einen ziemlichen Coup
gelandet. "Sunken Condos" enthält acht neue Kompositionen und eine
Coverversion des Isaac-Hayes-Titels "Out Of The Ghetto", die sich indes
thematisch und musikalisch bruchlos in das Album einfügt. Alles klingt
genau so, als hätte es schon vor 30 Jahren aufgenommen worden sein
können.
Fagen-Fans werden das "Sunken
Condos" kaum als Schwäche auslegen. Schließlich haben Steely Dan schon
immer extrem ausgefuchst geklungen, Fagens vorletztes, vor fast 20
Jahren veröffentlichtes Album "Kamakiriad" offenbarte schon im
Erscheinungsjahr seine zeitlose Gültigkeit, und für den Nachfolger
"Morph The Cat" (2006) bekam der New Yorker Faulenzer umgehend den
Grammy. Bei ihm und seinem Steely-Dan-Mitstreiter Walter Becker ist
immer alles bis aufs i-Tüpfelchen durchproduziert und klingt doch
transparent. Der Jazz ragt an allen Ecken und Enden herein, ohne dass
die Musik je nach Fusion geklungen hätte.
Auch "Sunken Condos" ist
wieder ein Fest für Liebhaber handgemachter und mundgeblasener Musik.
Fagen spielt viel Clavinet, das etwas spinettartig klingende, sehr
perkussiv ausgelegte Keyboard, das den Soul der 60er-, 70er-Jahre
prägte. Auch andere E-Pianos kommen zum Einsatz, Orgeln, die Harmonika,
sogar eine Violine. Es gibt feine Bläsersätze, wunderschöne
Gitarrenspuren (eine spielt der Jazz-Crack Kurt Rosenwinkel), der Bass
ist je nach Bedarf mal akustisch oder elektrisch, das Schlagzeug puckert
in der präzisen Nervosität, die schon in den 70ern Markenzeichen
amerikanischer Studiomusiker war. Und mit Carolyn Leonhart und Catherine
Russell unterstützen zwei auch unter eigenem Namen ziemlich
erfolgreiche Sängerinnen Fagens Songs im Hintergrund. Die Grooves sind
ausgeschlafen funky, bloß keine Hetze. Es ist das mittlere, zu
flaneurhafter Langsamkeit neigende Tempo, das Fagen bevorzugt. Und die
Melodien besitzen die Heimtücke, sich erst nach mehrmaligem Hören umso
nachdrücklicher in den Gehörgängen festzuhaken.
Das Cover von "Sunken Condos"
zeigt ein prächtig in ozeanischen Tiefen abgerauschtes Hochhaus mit
Eigentumswohnungen, wie sie in New York eigentlich ständig an
irgendeiner Ecke hochgezogen werden. Fische umschwimmen das strahlende
Gebäude, der Meeresboden sieht mit seinen bemoosten Felsen fast so
heimelig aus wie ein Waldidyll. Schwer zu sagen, was uns der
Dichtersänger mit diesem Bild sagen will, umso mehr, als es kein Lied
gibt, das auf diese (Traum?-)Vision Bezug nimmt. Eine Metapher für die
Unbeständigkeit alles von Menschenhand Gemachten? Nachgereichter
Kommentar zur Immobilienkrise, Stichwort Lehman Brothers? Alles geht.
Textlich sondiert Donald
Fagen, der in ein paar Wochen 65 Jahre alt wird, eher
Zwischenmenschliches, Intergenerationelles, gewiss (auch)
Autobiografisches. Sich und seine Altersgenossen nennt er mit gehörigem
Sarkasmusabstand "burned-out hippie clown" oder "ready for Jurassic
Park". Doch in "Slinky Thing" hat einer dieser neuen Alten noch Glück:
Er hat ein junges Ding erwischt. Die Kumpels sagen, lass die bloß nicht
weg (sie geht natürlich doch). In "The New Breed" spannt ihm ein
Computerfuzzi die junge Freundin aus, der unwürdig Verknallte in "Planet
D'Rhonda" kennt das Alter seiner sexy Flamme nicht genau. Er tippt auf
"between nineteen and thirty eight".
Mit seiner wenig Missbrauch
gleich welcher Substanz verratenden Stimme schlüpft Fagen in die Zeiten
der Prohibition ("Good Stuff"), ein anderes Song-Ich erinnert sich an
eine früh verunglückte Bowling-Königin ("Miss Marlene"). Was ihn
umtreibt, textlich und musikalisch, ist die Vergangenheit. Fagens
herrlich klingende Notizen aus dem Leben eines älteren Herrn sind das
Richtige für alle, die so alt sind, wie sie sich fühlen. Fagen versüßt
ihnen ein Dilemma, das jeder von ihnen kennt: Das Alter ist süchtig nach
der Jugend, aber die Jugend ist süchtig nach sich selbst.(Quelle: Abendblatt)
Tracklist:
1. Slinky Thing
2. I’m Not the Same Without You
3. Memorabilia
4. Weather in My Head
5. The New Breed
6. Out of the Ghetto (Isaac Hayes cover)
7. Miss Marlene
8. Good Stuff
9. Planet D’Rhonda
Clip:
I'm Not the Same Without You
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