Jean-Michel Jarre – Electronica 1: The Time Machine


Jean Michel Jarre fragt einfach mal 30 Künstler an, ob sie Interesse hätten, mit ihm jeweils einen Track zusammen zu pfriemeln. Aber wer würde nicht gerne mal mit einem Pionier der elektronischen Musik zusammenarbeiten? Alle 30 sagen ja und da hat er nun den Salat. So muss der Franzose sein über vier Jahre zusammen programmiertes Sammelsurium der Kollaborationen eben auf zwei Alben verteilen. Den ersten Teil halten wir hier nun in Händen, der zweite folgt im Frühjahr 2016.
Die Herangehensweise Jarres trägt ihren Teil dazu bei, das Album zu einem Hörvergnügen zu machen. Er bedient sich nicht einfach der Handschrift der jeweiligen Künstler, um fehlende eigene Ideen zu kaschieren. Ganz im Gegenteil, seine Trademarks sind zu jeder Zeit erkennbar. Und dennoch lässt er seinen Partnern stets genug Spielraum, ihre Sound-Ideen und -Spielereien einfließen zu lassen. So kommen wir bei allen 16 Tracks auf eine 50:50-Quote.
Ohne dass man den dazugehörigen Namen kennen müsste, offenbaren sich die charakteristischen Klänge der Kollaborateure. Wer bei den Arpeggios von "Suns Have Gone" und den im Hintergrund schwebenden Keyboard-Flächen nicht sofort an den New Yorker Glatzkopf denkt, hat die letzten beiden Jahrzehnte musikalisch in einer Weißblechdose verbracht.
Aber schon der Einstieg mit Boys Noize gelingt hervorragend. Die "Time Machine" pusht famos nach vorne weg, ohne mit platten Effekten zu nerven. Spacige Einwürfe und geschickt gesetzte Breaks machen Appetit auf mehr. Schön zu sehen, dass sich Jarre nicht zu schade ist zuzugeben, dass ihn auch die jüngere Musiker-Generation beeindruckt.
Beim Blick auf die Trackliste sieht man, dass nicht nur ausgemachte Studio-Tüftler mit am Start sind. M83, Little Boots und Pete Townsend kommen als Vertreter des konventionellen Songwritings zum Zuge. Die ersten beiden repräsentieren denn auch die Seite des Albums, die sich eher dem Radiosong-Format zuneigt. "Glory" und "If..!" klingen nach charmantem Pop, Jarre lässt hier einfach die Zügel schleifen. Der The Who-Gitarrist scheint an der Zusammenarbeit großen Gefallen gefunden zu haben, denn der hier vorliegende Teil 2 von "Travelator" ist ein Part einer dreiteiligen kleinen Saga, die sich der Brite aus dem Ärmel geschüttelt hat und die irgendwann einmal laut Jarre separat erhältlich sein soll.
Neben dem zweiteiligen "Automatic" mit Vince Clark ist vor allem das wunderbar sphärische Immortals mit den Fuck Buttons eine ganz besondere Perle. Mechanische, industrial-lastige Sounds treffen auf bombastisch angehauchte Space-Klänge. Das erinnert von der Stimmung her ein wenig an Daft Punks Soundtrack-Arbeit zur Tron-Fortsetzung.
Etwas unspektakulärer fällt der Ausflug ins Trance-Fach mit Armin Van Buuren aus ("Stardust"), und auch die wohl letzte Studio-Arbeit mit Edgar Froese und Tangerine Dream klingt angenehm, dringt aber nicht in Galaxien vor, die nicht zuvor schon jemand gesehen hat.
Mit der Grande Dame der New Yorker Avantgarde, Laurie Anderson, reaktiviert Jarre eine alte Partnerschaft. Was auf "Zoolook" und "Metamorphoses" schon funktionierte, setzt sich hier fort. In "Rely On Me" spricht Anderson aus der Sicht eines Smartphones zum Hörer und umgarnt ihn mit verführerischen Worten.
Beim abschließenden "The Train & The River" möchte man fast die Synthesizer-Flächen von "Equinoxe" einschieben, so vertraut klingt die Atmosphäre des Themas, das sich um Technik und Natur dreht. Die Symbiose beider Aspekte gelingt den zweien recht gut. Den mechanisch ratternden Zug-Sounds setzt der Chinese Lang Lang am Piano organischere Tupfer entgegen, wenn er von sanft einschmeichelnd bis hysterisch klimpernd die Elektronik flankiert.
Jarre hat sich viel vorgenommen, aber so kennt man ihn. The sky is the limit! Und an dem orientiert er sich. Sein Kollabo-Projekt geht aber nicht den Bach runter, ganz im Gegenteil. Der Franzose klingt frischer und überrascht mit gelungenen Arbeiten, denen man die Intensität im Zusammenspiel mit seinen partners in crime anhört. Da darf man gespannt sein, was der zweite Teil bringen mag, der im Frühjahr 2016 erscheint und unter anderem mit Gary Numan, Hans Zimmer, Yello und David Lynch aufwarten wird. (Quelle: Laut.de)
 
Tracklist:
01 – The Time Machine (feat. Boys Noize)
02 – Glory (feat. M83)
03 – Close your eyes (feat. AIR)
04 – Automatic (part 1) (feat. Vince Clarke)
05 – Automatic (part 2) (feat. Vince Clarke)
06 – If..! (feat. Little Boots)
07 – Immortals (feat. Fuck Buttons)
08 – Suns have gone (feat. Moby)
09 – Conquistador (feat. Gesaffelstein)
10 – Travelator (part 2) (feat. Pete Townshend)
11 – Zero Gravity (feat. Tangerine Dream)
12 – Rely on me (feat. Laurie Anderson)
13 – Stardust (feat. Armin van Buuren)
14 – Watching You (feat. Massive Attack)
15 – A question of blood (feat. John Carpenter)
16 – The train & the river (feat. Lang Lang)
 
Clip:

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