St. Vincent - St. Vincent


Wann passiert einem das schon einmal? Man freut sich, dass die gute Annie Clark auch einige Zeit nach dem Erscheinen ihrer ersten neuen Videos ein YouTube-Video mit dem Titel St. Vincent – Digital Witness (OFFICIAL AUDIO) hochlädt und der Kopf wippt neben dem Bläser-Beat einfach los. Man scrollt ein wenig, wechselt die Tabs, dann zurück zu St. Vincent. Ein sekundenlanger, interessierter Blick auf das YouTube-Standbild und die eindrucksvolle optische Präsenz von Annie Clark. Plötzlich das Aufschrecken: bei genauerem Hinsehen bemerkt man kleine Regungen in der Mimik Clarks. Es ist tatsächlich ein Video, in dem sie die volle Länge von über drei Minuten die eine Pose, den einen verschmitzten, leicht schläfrigen Blick mittels Loop-Video einhält. Die menschliche Video-Statue der St. Vincent, die auf hingeworfenes Kleingeld wartet, um sich mit einer bezaubernden Geste zu bedanken. Ihr weißes, krause zu Berge stehendes Haar sowie den Rest ihres Looks eignete sich die 32-jährige Indie-Pop-Gitarristin aus Oklahoma extra für ihr bevorstehendes Release an. Ein solides Sprungbrett zu internationaler Anerkennung bot ihr das Mitwirken in der Live-Band Sufjan Stevens' bis 2006. Seitdem lieferte die Dropout-Kandidatin der Berklee University drei mehr als positiv von Presse und Fans aufgenommene Solo-Alben sowie das weniger bejubelte, aber nicht unbedingt minder gute Kollabo-Album Love This Giant mit Talking Heads-Frontmann David Byrne.

Das Album Strange Mercy fuhr bereits in den frühen Tagen von Zolin einiges an Lorbeervorschuss für künftige Projekte ein. Mit dem ersten selbstbetitelten Album soll nun die gelungene Premiere für den noch einigermaßen druckfrischen Major Label-Vertrag folgen. Dass demzufolge auch eine gewisse Portion an stärkeren Pop-Tendenzen neben dem neuen äußerlichen Erscheinungsbild folgen könnten, ist anzunehmen. Da Annie Clark jedoch auch bei bisherigen Werken nie einen Hehl um ihre Pop-Affinität zu machen schien und sich ihre oft noch freche Attitüde in Bezug auf die Musik erhielt, scheint das auch beim aktuellen Album wenig Grund zur Sorge zu geben. Clarks zittrig verzerrte Stimme säuselt gleich zu Beginn bei Rattlesnake auf einen abgeklärten, simplen Gitarren-Beat, mit leicht bekömmlichen, elektronischen Funk-Tendenzen bestreut. Gefühlvoll und ausdrucksstark wie gewohnt, dabei so leichtfüßig schmiegt sich Clarks verzücktes Stimmchen an ihre eigenen, faustdicken, verschmierten E-Gitarrenwällen.

Es folgt das schnellere, sprunghaft-launische Birth In Reverse, welches vorab im "Video" ebenfalls die scheinbar regungslose Kunstfigur St. Vincent in futuristischem Ambiente thronend zeigt. Prince Johnny verzaubert mit seinen ätherischen, loyal folgenden Wolken aus choral anmutenden Synthesizern, während der langsame, simple Rhythmus eine breite Fläche für Clarks Glanzmomente im eingängigen, wunderschönen Refrain bietet. Dann tröten bereits die Bläser von Digital Witness ihren schwungvollen Marsch los, begleitet von Clarks gekonnt beigefügten Bissen der kräftigen E-Gitarre. Das tatsächliche Musikvideo zu Digital Witness schaffte es unlängst mit seinem wunderbar stimmigen, steril-futuristischen Augenschmaus beinahe, als Video der Woche gekrönt zu werden und es bleibt auch nach mehrmaligem Hinsehen eine absolute Weiterempfehlung. I Prefer Your Love erinnert mit seinen melancholischen Melodiewechseln und dem leichten Blues-Soul-Touch an den Twin Peaks-Soundtrack des großartigen Angelo Badalamenti. Gesang und textliche Aufmachung lassen dagegen an die Eleganz und ästhetische Unerreichbarkeit einer Madonna erinnern. Lyrisch beweist Clark wie so oft Virtuosität, Mut und Freude an äußerst dynamischem Songwriting.

"Rolling down the highway like a psychopath, all the flames and fury roaring out my back", beginnt Clark das minimalistischer gehaltene, fix voranschreitende Psychopath. Im Refrain blüht das Sound-Repertoire mit einem Takt auf, überall sprießen idyllische Akkorde aus Akustik-Gitarre und sphärisch glühenden, elektronischen Oasen, die knurrende E-Gitarre bändigt St. Vincent gekonnt und setzt sie bewusst spärlicher als die letzten Jahre ein. An manchen Ecken und Enden jedoch ist sie auch noch dominanter besetzt, wie bei Regret oder Bring Me Your Loves, die mit weit poppigerem Appeal statt mit probierfreudigen Klangwelten anbändeln. Was aber gar nicht tragisch ist, denn mit diesen Tendenzen versteht sich Clark prinzipiell immer besser, wenngleich besagte E-Gitarre dann hier und da doch etwas zu prägnant Richtung Synapsen prescht. Meistens hält Clark sie jedoch, wie ein treu ergiebiges, mächtiges Begleitwesen, gut im Zaum und weiß auch, wie sie es statt mit allzu großer Präsenz eher unterschwellig seine Magie entfalten lässt. So funktioniert es bei dem leicht überladenen Every Tear Disappears prächtig. Zuletzt gleitet Severed Crossed Fingers gemächlich und nicht ohne eine Spur 80s-Serien-Charme über die Bühne für ein elektronisch angehauchtes, folkiges Schlusslicht. Mal seicht und euphorisch, mal träge und mit mehr Tiefgang breitet sich das zarte, aber bestimmte Organ der Cyber-Königin St. Vincent für elf Stücke auf warm instrumentierten Indie-Pop-Betten aus, von denen einige mehr Ohrwurm-Potenzial als Andere haben. Durchweg jedoch steht jedes Stück für sich und selne eigenwillige, für Annie Clark so typisch untypische Art.
(Quelle:Zolin)

1. Rattlesnake
2. Birth in Reverse
3. Prince Johnny
4. Huey Newton
5. Digital Witness
6. I Prefer Your Love
7. Regret
8. Bring Me Your Loves
9. Psychopath
10. Every Tear Disappears
11. Severed Crossed Fingers

Clip:
 Digital Witness

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