Rihanna – Anti
Das soll das heißen, Rihanna verschenkt ihre neue Platte? Wieso „verschenkt“? Weil man „Anti“ – so heißt das Produkt – zunächst im Netz kriegt, eine Weile jedenfalls, bevor es ab dem 5. Februar alle Stücke, wie gehabt, auf semi-obsoleten Tonträgern gibt? Weil man sich das Ding über Dienste holen kann, die man dafür mindestens kurzfristig auf irgendeiner Maschine installieren muss, womit diese Dienste schlagartig den Fuß in vielen neuen Türen haben?
Ist doch kein Almosen, sondern solide gerechnet; eine Profi-Drogendealerin weiß, was sie tut, wenn sie Trips spendiert. Was? „Verschenkt“ sei anders gemeint und solle ein ästhetisches Urteil sein? Na schön, nichts auf dem Album geht so unmittelbar ins Ohr wie der mit Jay Z gezeugte Hyperhit „Umbrella“ (2007). Rihanna hat keine ihrer letztjährigen großen Singles auf „Anti“ gepackt und bearbeitet dafür lieber Material der Rockband Tame Impala (dem sie dabei allerdings Beine, Flossen und Flügel macht).
Kein Grund zum Zahnfleischbluten: Auf „Anti“ findet sich trotzdem alles, was sie ihrem guten Ruf schuldet, vom Körperkurvenwackelexperiment auf unzerstechbaren Traumschaumblasen („James Joint“, Songtitel der Stunde) über ein Hintergrundsummen, das wie ein Meer aus vom Sternenwind bewegte Dünen in der nächtlichen Wüste der Sehnsucht klingt („Yeah, I said it“), bis zu Beats, die sich anhören, als zöge die Sängerin eine Schleppe aus erotischen Siegen hinter sich her oder blättere eine Seite nach der andern im großen Buch des Lebens um, mit zahlreichen fast unanständigen Bildern drin („Kiss it Better“).
Viel Freude für vorläufig wenig Geld demnach – wieso heißt das dann aber alles „Anti“ und nicht „Bitte sehr“? Hier und da erklären Leute sich und andern den Albumtitel unter Verwendung des Wortes „Punk“. Rihanna hat vermutlich nichts dagegen, aber mit dem, was bislang meist so hieß, nämlich der Gesellschafts- und Weltverneinung überwiegend weißer Kids aus der unteren bis mittleren Kleinbürgereinkommenszone, teils auch aus dem Erziehungsheim, hat „Anti“ nicht viel mehr zu tun als eine schlaue Schwester mit ihrem bockigen Bruder oder ein spitzes Gäbelchen mit einem stumpfen Messerchen.
Rihannas diverse Verneinungen nämlich verneinen selbst meistens andere Verneinungen, wie das ja in der African-American Popkultur zwischen R’n’B und Hip-Hop seit Jahrzehnten üblich ist, wo ein Wort wie „Hater“ jedenfalls, anders als im Punk, kein Ehrentitel ist. „Nobody touch me, I’m the righteous“ heißt es im programmatischen Statement „Work“ auf „Anti“, einer Nummer, bei der die Königin, flankiert vom No-Nonsense-Gast Drake, außerdem klarstellt, dass der „Schmutz“, die delikate Verworfenheit und der ansteckende Lebensappetit, mit denen sie so gerne wedelt, harte Arbeit bedeuten.
Dazu serviert wird ein feines, mit der ganz langen Bastelschere aus dem Computer geschnittenes Schlängeltaktmaß, in dem sich alle Klapperschlangen der Glücksverheißung winden, klickety-klickety-klick, bis der ganze Hofstaat stöhnt: Himmel, ist das wieder unwiderstehlich, Euer Hoheit. Punk? Irgendwie auch, ja, aber nur, wenn man begreift, dass das Wort da, wo diese Frau herkommt, etwas anderes bedeuten müsste als in krachsüchtigen Wutohren – so wie ja auch Public Enemys berühmter Slogan „Fight the Power“ nicht als Anarchoslogan für Barrikadenrandalierer gedacht war, sondern die Selbstemanzipation von Menschen artikulieren sollte, die ihr eigenes Business, ihre eigenen Leidenschaften und ihre eigene Kunst gegen die blöden Bedingungen und trüben Tage behaupten wollten und wollen, die für ihresgleichen in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgesehen waren und sind, wo institutionalisierter und alltäglicher Rassismus denen, die solche Musik machen, aufgrund ihrer Herkunft jedenfalls immer noch genug Verneinungen in den Weg stellt („Yeah, yeah, there ain’t nothing / There ain’t nothing here for me“ heißt es auf „Desperado“, aber da geht es um eine Privatangelegenheit – vielleicht).
„Work“, Arbeit, ist das nicht das, was Punk abschaffen will? Die tätige Verwandlung eines andernfalls betrübten, bedürftigen und beschränkten Selbst als Voraussetzung für die Verwandlung der verkehrten Welt, am besten in Liebe, muss halt sein, darum geht’s – „But I wake up and everything’s wrong / Just get ready for work, work, work“.Man darf also ruhig mal ernst nehmen, was diese demnächst achtundzwanzigjährige Künstlerin so alles beschwört und hervorbringt, seit sie sich, mal als Tomboy-Kittycat, mal in Stricksachen und Wollstacheldraht, mal badend in Barbiepuppen, ins Geschäft geworfen und Respekt verschafft hat, unberechenbar damenhaft („I’m such a fookin’ lady“). In letzter Zeit bewegt Rihanna sich von der Herdplattenhitze der Anfangstage eher in Richtung Disneyprinzessin, mithin (bevor sie den nächsten Haken schlägt) in Gegenrichtung zum Karrierepfad von Miley Cyrus, der anderen höchstprominenten Alben-ins-Netz-Gießerin der jüngeren Zeitgeschichte. Aber beides funktioniert, auf je unterschiedliche Art, als Veredelung und damit ein schöner Beleg dafür, dass Gegensätze in der Kunst einander wortlos verstehen. Das alles ist einerseits Konzept und andererseits Laune, eben immer beides. Das Gold des Rausches, das Blei der Arbeit: Eine eigentlich unmögliche Legierung, aber auf „Anti“ eine sehr starke. (Quelle: FAZ)
Tracklist:
01 – Consideration (feat. SZA)
02 – James Joint
03 – Kiss It Better
04 – Work (feat. Drake)
05 – Desperado
06 – Woo
07 – Needed Me
08 – Yeah, I Said It
09 – Same Ol’ Mistakes
10 – Never Ending
11 – Love On The Brain
12 – Higher
13 – Close To You
14 – Goodnight Gotham
15 – Pose
16 – Sex With Me
Clip:
Work
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