Beck - Colors




Gleich am Anfang dieser Rezension gibt es eine unumstößliche Tatsache: "Colors", das neue Album von Beck, ist nicht "Morning phase". Punkt. Das ist ein Fakt. Und es ist auch kein, wie man so oft sagt, zweites "Morning phase". Oder hat auch nur ansatzweise den Anspruch, in irgendeiner Weise wie sein Vorgänger von 2014 zu sein. Wer auf etwas in dieser Art gehofft oder gar gewartet hat, wird bitter enttäuscht. Und jene Enttäuschung liest man auch einem Artikel aus der "Premature evaluation"-Reihe der sonst sehr geschätzten Kollegen von Stereogum an, der im Oktober 2017 auf der Startseite mit dem Überschrift "Beck's new album is very bad" angekündigt wird und mit der bei allem Respekt albernen Einleitung "Beck should give the Grammy back. Kanye West is wrong a lot, but he was right about this" beginnt.
Albern ist das in vielerlei Hinsicht. Erstens, weil den Grammys, jener Mehr-Schein-als-Sein-Veranstaltung, bei der Beck 2015 den Award für das Album des Jahres mit nach Hause nahm, damit viel, viel, viel mehr Respekt gezollt wird, als sie jemals verdient hätten. Es ist eine Preisverleihung, bei der Kunst prämiert wird. Keine Mannschaft, die die meisten Spiele in einem Turnier gewonnen hat, oder ein Athlet, der am schnellsten gerannt oder am weitesten gesprungen ist. Sondern ein Album, auf das sich die meisten Leute einer Jury einigen konnten. Fertig. Und zweitens, weil diese Suppe über zwei Jahre später, bei der Veröffentlichung eines neuen Werkes dieses Künstlers, nun wirklich niemand mehr aufwärmen sollte. Es ist vorbei. Was uns zurück zur Gegenwart bringt: "Colors" ist nicht "Morning phase", und das ist in Ordnung. Denn "Colors" ist vor allem eines: Ein astreines Popalbum, das die Sau rauslässt. Eines, das den Groove für sich entdeckt. Das zum Tanzen einlädt, zum gemeinsamen Glücklichsein, zum Ausgelassensein. Beck darf auch mal nur Spaß haben wollen, er hat sich es verdient. Und ganz ehrlich: Irgendwie haben wir das doch alle.
Denn natürlich ist das kein Standard-Haudrauf-Bums-Pop, wie man ihn von all den Instagram-Sängern und -Sängerinnen kennt, die halb so alt sind wie Beck Hansen. Sondern verdammt gut produzierte, auf den zweiten Blick sogar klug durchdachte Musik, die sich selbst nicht mehr oder weniger wichtig nimmt als nötig. Über ein Jahr wurde "Colors" immer wieder angekündigt und verschoben, womöglich wäre eine Veröffentlichung im Sommer rein stimmungstechnisch sinnvoller gewesen, aber auch den Herbst verschönert diese kleine Perle, die laut Beck von Prince und den Beatles inspiriert wurde. Nach diesen beiden musikalischen Übermächten klingt das Album nun auch wieder nur mit viel Wohlwollen, überhaupt auch nur stellenweise, und doch ist ein Stück wie die Achtzigerjahre-Pop-Hymne "Seventh Heaven" ganz großes Kino, mit einem übereuphorischen Mitmach-und-Mitklatsch-Refrain, wie ihn zuletzt vielleicht nur Broken Social Scene mit "Skyline" gemeistert haben. Und klar wirkt es anfangs minimal befremdlich, wenn der mittlerweile 47-Jährige im mitsamt breitbeinigem "Yeah"-Ausruf versehenen und äußerst basslastigen "Wow" anfängt zu rappen und scheinbar mühelos in ätherischen Hippie-Gesang verfällt.
Im besten Sinne ist "Colors" eine Club-Platte, die auch tagsüber funktioniert statt nur nach Mitternacht. Da wäre das aufgehypte "Up all night", quasi ein Energydrink von einem Song, das sich mit ordentlich Hummeln im Hintern durch die Großstadt tanzt, über Autos hinweg steigend, bei fremden Menschen einhakend, stets breit grinsend, alles nach bestem Wissen und Gewissen. Oder das rumpelige, zwischen Alternative- und Psychedelic-Pop wandelnde "Square one", glücklicherweise keine Coverversion des Coldplay-Songs von "X&Y". Ebensowenig wie der Finaltrack "Fix me" eine Weiterführung von "Fix you" ist – obwohl auch der dank viel Herzigkeit und Kitsch für das eine oder andere Tränchen im Augenwinkel sorgt. Alte Bekannte gibt es auf dem Album dennoch: Neben den bereits genannten "Wow" und "Up all night" ist das vor allem auch "Dreams", das 2015 erstmals veröffentlicht wurde und hier glücklicherweise nur unmerklich verändert mit dem Klammerzusatz "Colors mix" in der Tracklist auftaucht.
Dazwischen gibt es die eine oder andere Überraschung. "I'm so free" wechselt zwischen unberechenbarer Neunzigerjahre-Schrammel-Ästhetik, mindestens bemerkenswertem Sprechgesang und jener Form von unwiderstehlichem Pop-Funk, wie ihn Tame Impala auf "Currents" wieder salonfähig gemacht haben. Derweil besingt "Dear life" tatsächlich das Leben selbst, aus tiefster Kehle, lässt jegliche Zweifel über Bord werfen und kommt noch dazu mit einem fantastischen Gitarrenriff um die Ecke. Und da hätten wir es eben wieder: "Colors" ist nicht "Morning phase", welches natürlich großartig war – Preise hin oder her. Aber im Vergleich dazu ist es geradezu hellwach, ausgeschlafen und läuft nicht nur mit offenen Augen, sondern mit offenen Armen durch die Gegend. Auf diesem Album gibt es keinen Platz für negative Gedanken oder provozierende Schlagzeilen. Und schon alleine aus diesem Grund sollte man ihm eine Chance geben und es sich anhören. In Zeiten wie diesen können wir eine Einladung zum Tanzen nun wirklich bestens. (Quelle: Plattentests)


Tracklist:
01. Colors
02. Seventh Heaven
03. I’m So Free
04. Dear Life
05. No Distraction
06. Dreams (Colors Mix)
07. Wow
08. Up All Night
09. Square One
10. Fix Me
11. Dreams



Clip:
Up all night

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