Ry Cooder - Election Special
Was ist das: ein „Brennpunkt“ auf sechs Saiten zum amerikanischen Wahlkampf? Lesen tut es sich so: „Election Special“. Aber für eine dieser routinemäßig eingeschobenen Info-Sendungen hat es zu viel Wucht. Machen wir es kurz: Die neue Ry-Cooder-Platte ist die beste seit - Moment, wir müssen die Nadel jetzt ein wenig zurückschieben und lassen sie dann doch erst auf „Paradise And Lunch“ (1974) herunter - fast vierzig Jahren. Und sie ist das ätzendste Statement, das einem amerikanischen Unterhaltungskünstler zur (nun bald wieder drohenden) Politik seines Landes bisher eingefallen ist.
Ry Cooder ist nicht der Einzige, der den Mund aufmacht. Und schon seine 2007er, gleichfalls überzeugende Platte „My Name Is Buddy“ enthielt, in Form von Tierfabeln, beißenden Spott über die Lage des Landes. Das ist an sich nicht originell. Neu ist aber eine gewisse Dringlichkeit im Ton. Vor allem der in den sechziger Jahren gestarteten Generation scheint jetzt der Kragen zu platzen. Schon Neil Young forderte, als Bush Junior noch am Ruder war, ohne Umschweife „Let’s Impeach the President“, und selbst Dylan ließ sich auf einem seiner jüngeren Alben mit arbeiterklassen- und gewerkschaftsfreundlichen Untertönen vernehmen.
Auf dieser Welle schwimmt Ry Cooder keineswegs opportunistisch mit; vielmehr bewies er schon mit dem Song „J. Edgar“ von der „Buddy“-Platte Gespür, denn Clint Eastwoods Hoover-Film kam erst danach. Dass dieser Meistergitarrist, der sich politisch bis dahin zurückgehalten hatte, neuerdings so explizit wird, zeigt, wie weit es mit Amerika schon gekommen ist und was auf dem Spiel steht, falls im Herbst der Kandidat derjenigen Partei gewinnt, die, wie inzwischen nicht nur die gerne als „linksliberal“ verhöhnte Kulturschickeria denkt, das Land in den beiden Amtszeiten des jüngeren Bush moralisch heruntergewirtschaftet hat. Dafür legt Ry Cooder seine ganze musikalische und - als jemand, der sich nie korrumpieren ließ und lieber noch ein bescheiden verkäufliches Album mehr aufnahm, als sich beim Massengeschmack anzubiedern; naja, wenn man vom Buena Vista Social Club absieht, aber das war ja mehr Wim Wenders’ Idee - eben auch moralische Autorität in die Waagschale.
Zum Audio “Election Special“: Jetzt merkt hoffentlich auch der Letzte, der ihn nur als Beschaller manchmal doch recht langweiliger Filme kennt, dass dieser Mann im kleinen Finger, der die Bottleneck so geläufig und gefühlvoll auf und ab bewegt, mehr Wut hat als Michael Moore und alle anderen Krakeeler zusammen. Als Erster ist Mitt Romney dran, der im „Mutt Romney Blues“ mit einem Vornamen bedacht wird, bei dem die Assoziation des Dreckigen (mud) vermutlich beabsichtigt ist und, angesichts des fast übertrieben gepflegten Äußeren dieses Politikers, einen komischen Effekt ergibt. Der negroide Slang, den Taj Mahal, sein Kumpel aus uralten Rising-Sons-Tagen, in offensiv-kritischer Absicht im Bluesrock hoffähig gemacht hatte, bringt zusätzliche Schärfe ins Spiel: „Ol’ massa boss cut me down“, singt Cooder stampft wie John Lee Hooker, als hätte Romneys Anzug noch nicht genug Staub abbekommen.
Seit „Let It Bleed“ von den Rolling Stones wissen wir, was dieser Meistergitarrist auch an der Mandoline kann - hier legt er die zärtlich-wehmütige Weise „Brother is Gone“ hin, bevor das Wutgetrampel mit „The Wall Street Part of Town“ weitergeht. Die Rhythmusgitarre knarzt der Finanzwirtschaft einen vor, auch wenn Text und Melodie verhalten optimistisch wirken. „Guantanamo“ kommt dann direkt auf den Sündenfall zu sprechen, den beenden zu wollen bisher auch bloß ein demokratisches Versprechen blieb. Aber darum kann Ry Cooder sich nicht kümmern. Der Verzicht aufs Abwägen, das immer noch einen außen-, innen- oder finanzpolitischen Systemzwang findet und damit die Logik von Entscheidungen oder Versäumnissen nur bestätigt, ja, die plakative Äußerung ist das Vorrecht des Künstlers. Und Cooder hat schon mit seiner „Buddy“-Platte einen Ernst der Lage vorgeführt, der die ironische Betrachtung, dieses Lieblingsstilmittel jüngerer Popmusik, die sich nicht festlegen will, unpassend erscheinen lässt.
Er wird sich, nach dem gleichfalls gelungenen Album „Pull Up Some Dust And Sit Down“, abermals gesagt haben: eindeutige Botschaft, eindeutiger Stil. Das ist in seinem Fall der Countryblues, der, als archaisches Sammelbecken auch für den Folk, immer schon aufnahmefähig und gleichzeitig Artikulationsorgan für Sozialkritisches war; der nun aber, vor dem Hintergrund der klassischen Westernromantik, der sich dieser Musiker schon aus Prinzip widmet, den Kontrast zur heutigen und womöglich erst recht zur zukünftigen Lage Amerikas desto schärfer hervortreten lässt. Erst in der Besinnung auf gekappte Traditionen wird der Werteverlust richtig spürbar. Dass dabei auch manches verklärt wird, war unlängst auf Neil Youngs leider indiskutabler „Americana“-Platte spürbar: Der Kanadier, der dem Land einst die Indianer-Ausrottung vorhielt, sieht Weiß und Rot heute eher Seit’ an Seit’, wenn es darum geht, den Verlust des gesamtamerikanischen Paradieses zu beklagen.
Ry Cooder dagegen hat es nicht nötig, die Allianzen zu wechseln, weil er nie welche einging. Und dennoch ist er, als einer der kompetentesten Interpreten, Forscher und Förderer von Roots-Musik, dem gesunden, jeder Maßlosigkeit abholden politischen Volksempfinden schon qua Profession verpflichtet. Wer schon als Junggenie Woody Guthrie nachsang und sich Sleepy John Estes noch persönlich ins Studio holte, der kann mit einer „Protest“-Platte niemanden mehr überraschen.
Dass Ry Cooder es auf seiner fast im Alleingang, nur mit Hilfe seines trommelnden Sohnes Joachim eingespielten Platte nun doch tut, liegt nicht am Alter (65); es liegt an der fast kunstlosen Unverblümtheit, mit der er seine Botschaften loswird. Musikalisch gelingt ihm dies in den treibenden oder schwer lastenden, reinen Bluestiteln am besten, in denen er auch gesanglich zur Höchstform aufläuft und zeigt, dass er auch in dieser Hinsicht einiges vom seligen Captain Beefheart gelernt hat. „These stray dog Republicans always snappin’ at my heels / Lord, the Supreme Court is contaminated“, jault er mit einem inbrünstigen Zorn in „Cold Cold Feeling“, den er in „Kool-Aid“ ins vollends Drohende wendet. „Get your greasy hands off my Constitution now“, bellt er in „Take Your Hands Off It“.
Von alledem werden Mitt Romney und seine Parteifreunde sich nicht einschüchtern lassen. „If the Democrats don’t make it then I’ll have myself to blame“, singt Ry Cooder. Diese Selbstbezichtigung wird in jedem Fall unnötig sein. Heftiger, glaubwürdiger als er stritt lange kein amerikanischer Mainstream-Rockmusiker für die demokratische Sache.(Quelle: FAZ)
Tracklist:
1. Mutt Romney Blues
2. Brother Is Gone
3. The Wall Street Part Of Town
4. Guantanamo
5. Cold Cold Feeling
6. Going To Tampa
7. Kool-Aid
8. The 90 And The 9
9. Take Your Hands Off It
Clip:
Take Your Hands Off It
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