Peaches – Rub


Es dauert dieses Mal erstaunlich lange bei Peaches. Wie ein hinausgezögertes Vorspiel kommt einem der Opener "Close Up" vor, auf dem die Kanadierin mit der Wahl ihrer Duettpartnerin, der Sonic Youth-Legende Kim Gordon, wieder vorzüglichen Style beweist. Zu wuchtigen, hallgetränkten Electrobässen rappen die Avantgarde-Ikonen scheinbar Parental Advisory-unverdächtige Zeilen. Neue Demut neben einer Noise-Königin?
Mitnichten. Setzte Peaches auf "I Feel Cream" noch das Krähenfüße-Lecken auf die Lust-Agenda, darf sich spätestens beim zweiten Song "Rub" jeder versichert sein, dass die auch schon straight auf die 50 zugehende Künstlerin des Explicit Contents noch längst nicht überdrüssig ist.
"Bitch rub rub rub / Tell on my pussy / Whistle blow my clit / Watch it open up / Cuz it can't keep a secret", raunt sie mit dem beiläufigsten Befehlston einer Domina. Die mit minimalistischer Präzision am Computer entworfenen Beats legen ein irgendwie bekanntes und doch frisches Fundament für ihre scharfzüngigen Forderungen nach weiblicher bzw. geschlechtsunspezifischer Selbstbestimmung.
Ja, Peaches ist wieder da und sie wird noch gebraucht. Eine irgendwie beruhigende Feststellung angesichts der in den 15 Jahren ihrer Karriere durchaus positiv verlaufenen Entwicklung hin zu einer modernen, aufgeschlossenen Gesellschaft.
So zählt zum American Dream der USA plötzlich landesweit auch das Grundrecht auf Eheschließung mit einem Partner beliebigen Geschlechts, eine vor kurzem noch undenkbare Entwicklung, erst recht im Jahr 2000, als das Peaches-Debütalbum "The Teaches Of Peaches" erschienen ist. Seitdem ist so viel Zeit vergangen, dass von ihr beeinflusste Musikerinnen wie Miley Cyrus oder Taylor Swift zum Zeitpunkt der Veröffentlichung mutmaßlich noch ihre Jungfräulichkeit besaßen.
Peaches selbst würde ihre Verdienste um Fortschritte im Bereich Gleichstellung der Geschlechter sicher als Letzte artikulieren. Lieber macht sie das, was sie am besten kann: Sie whistleblowt über die erogenen Zonen des weiblichen Körpers und sexuelle Fantasien. "Can't talk right now / this chick's dick is in my mouth" (in "Rub") oder "Let me see you put your / put your dick in the air" - im gleichnamigen Song trifft Peaches einen Punkt: Während die Verwendung von Begriffen wie 'Bitches', 'Tits' und 'Asses' gerade im Rap längst Mainstream geworden sind und dazugehörige Videos zu Twerk-Kunstwerken geraten, nehmen die Herren der Schöpfung nach Peaches' Auffassung ihr "Glück" noch zu selten selbst in die Hand.
Um erst gar keine Verständnisschwierigkeiten aufkommen zu lassen, wir sprechen von: "Balls and dick / Balls and dick / Two balls and one dick." Capice? "Face down / dick up / that's my command / Take it like a real woman". Die Vorstellung wie sich Konservative aufgrund solcher Texte an ihr reiben, taucht auch den Albumtitel in ein doppeldeutiges Licht.
Musikalisch präsentiert sich die Stimulationsnachhilfe in gewisser Weise nahe an ihrem Debüt: Minimal und rough, kantig und monoton. Der Vorabtrack "Light In Places" führt als scheinbare Fortsetzung des Dancefloor-Vorgängers "I Feel Cream" auf die falsche Fährte, strahlt dafür vor allem mit der Zeile "All humans free at last / So much beauty comin outta my ass."
Der Trap-Hype könnte ihrem neuen Sound zugute kommen: Gleich die ersten vier Songs sind Standout-Tracks und oszillieren zwischen "Bitch Better Have My Money", "Drop It Like It's Hot" und "Warm Leatherette". Ihr Talent für Rhythmus, Timing und Intonation sucht weiter ihresgleichen und prägt jeden Track als Peaches-Nummer.
"Pickles" hebt einen Puppetmastaz-Groove auf ein neues Level und "Free Drink Ticket" gießt den bitterbösen Trip in Ton, den der Song über eine von Liebe zu Hass kippende Beziehung zum Inhalt hat. Zwischendurch probiert sich Peaches immer mal wieder aus: In "I Mean Something" integriert sie schöne Duettchöre mit der alten Freundin Feist und so hoch wie im "Vaginoplasty"-Refrain hat sie wohl bislang nie gesungen. Überflüssig ist eigentlich nur "Sick In The Head", während der zweite Teil des Albums gegen die Brillanz des Beginns tapfer ankämpft.
Doch spätestens wenn Peaches gegen Ende einen süßlichen 80s-Pop-Refrain dazu nutzt, zwölf Mal hintereinander "You dumb fuck" zu singen, anstatt radiofreundliches Süßholz zu raspeln, ist man wieder ganz bei ihr. Nach Iggy Pop, PJ Harvey und Michael Stipe hat nun auch Yoko Ono öffentlich ihre Bewunderung ausgedrückt. Die Gründe dafür findet man in jedem Albumtrack: This chick got balls. (Quelle: Laut.de)
 
Tracklist:
01 – Close Up (feat. Kim Gordon)
02 – Rub
03 – Dick in the Air
04 – Pickles
05 – Sick in the Head
06 – Free Drink Ticket
07 – How You Like My Cut
08 – Vaginoplasty (feat. Simonne Jones)
09 – Light in Places
10 – Dumb Fuck
11 – I Mean Something (feat. Feist)
 
Clip:

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