ABAY - Everything's Amazing And Nobody Is Happy
Beginnen wir diese Rezension mit einem kleinen Exkurs in die Philosophie der griechischen Antike: Das Theseus-Paradoxon wirft die Frage auf, ob das Schiff, auf dem Theseus mit seinen Begleitern lossegelte, nach vielen Jahren und unzähligen Umbau-Maßnahmen immer noch dasselbe ist wie zu Beginn seiner Reise. Sämtliche Planken und Masten, Taue und Tücher wurden in der Zwischenzeit ausgetauscht, kein Originalteil ist mehr am Platze. Kann man nun also behaupten, es immer noch mit Theseus' Schiff zu tun zu haben? Was meinen Sie? Ähnlich verhält es sich gerne auch mit der einen oder anderen Band, der über die Jahre auch das letzte Gründungsmitglied abhanden gekommen ist. Ganz so drastisch war die Entwicklung bei Blackmail zwar nicht, doch nach dem Abgang von Frontmann Aydo Abay stellte sich die Frage, ob mit der Stimme des Sängers auch die Identität der Band verloren gegangen sei. Einen Bassisten oder einen Drummer kann man zweifelsfrei leichter ersetzen, auch wenn sich dadurch gewiss Verschiebungen im Bandsound ergeben. Der Frontmann hingegen ist die zentrale Figur, die Vocals dienen als identitätsstiftendes Element. Vor diesem Hintergrund darf die These aufgestellt werden, ob Abays neue, selbstbetitelte Band nicht die eigentlichen "Erbverwalter" der ursprünglichen Blackmail sind.
Natürlich wissen wir, dass Blackmails wirkliches Mastermind seit jeher Kurt Ebelhäuser ist, doch Abays neues Album "Everything's amazing and nobody is happy" kommt auch ohne dessen Mithilfe rasch auf Hochtouren. Verantwortlich hierfür war neben Abay vor allem sein neuer musikalischer Partner Jonas Pfetzing, der sich zum Broterwerb als Gitarrist und Songschreiber bei Juli verdingt, nun aber unter Beweis stellen möchte, dass mehr in ihm steckt als Songs über perfekte Wellen, geile Zeiten oder elektrische Gefühle darzubieten. Kleiner Spoiler für Ungeduldige: Es ist ihm gelungen. Denn Abay spielen herrlich unprätentiösen Indierock, der ohne Manierismen und unnötiges Zubehör auskommt und sich stattdessen auf seine Stärken konzentriert, die ohnehin klar auf der Hand liegen: eine frische Dynamik, eingängige, aber keineswegs simple Hooks, sowie ein reinigendes Instrumental-Gewitter, das dann und wann über den Hörer hereinbricht und Katharsis verspricht. Bereits der starke Opener "The queen is dead" bringt all diese Elemente mit, beginnt mit einem zurückhaltenden Piano und Abays Stimme, steigert sich dann aber hinein in einen Schwebezustand zwischen Rage und Euphorie.
Schönklang und leichte Brachialität treffen sich in diesen knapp 50 Minuten immer wieder zum zärtlichen Nahkampf, wobei sich letztlich in der Regel die Melodieseligkeit durchsetzt. Besonders schön geschieht ebendies in "1997 (Exit A)", einer flotten Gitarrenpop-Nummer, die perfekt zu den wärmsten Tagen des Jahres passt. Der Titelsong hingegen nimmt sich achteinhalb Minuten Zeit, um ein Panorama aufzuspannen, das beständig mit Licht, Schatten und den Wechselwirkungen dazwischen spielt. Im melancholischen "A boat" stehen dann wieder die Vocals und ein einsames Piano im Fokus, melodramatisch wiegt diese doch sehr klassische Halbballade im Wind, das drohende Gewitter bleibt aus. Und doch ist diese Nummer die vermutlich überzeugendste, dringlichste, gerade weil sie so nackt und minimalistisch daherkommt. Es ist schon eindrucksvoll, wie pointiert und schlüssig Abay auf ihrem Debüt-Album klingen. In Pfetzing scheint Aydo Abay einen neuen Kompagnon gefunden zu haben, mit dem er auf einer Wellenlänge liegt. Und auch wenn diese Band gerade erst in See sticht, so weiß man doch, dass in ihnen und durch sie ein wenig die früheren Blackmail weiterleben. Ahoi!(Quelle: Plattentests)
Tracklist:01. The Queen Is Dead
02. Fen Fire
03. Signs
04. 1997 (Exit A)
05. 1999 (Exit B)
06. Easy Ease
07. Everything’s Amazing And Nobody Is Happy
08. Different Beds
09. A Boat
10. Out Of The Sun
Clip:
The queen is dead
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