Justin Timberlake - Man of the Woods




Zurück zur Natur: Justin Timberlake hat sein viertes Album aufgenommen. „Man of the Woods“ ist ein Manifest der mühelosen Männlichkeit. Ein Genderbild mit 16 Songs, ein Soundtrack unserer Zeit.
Das Album heißt „Man of the Woods“. Ein Mann der Wälder. Justin Timberlake ist auf zwei Polaroids zu sehen, er steht im verschneiten Fichtenbruch und in den Feuchtwiesen im Morgennebel.
In einem der Lieder, „Livin’ Off the Land“, ist Justin Timberlake zu hören, wie er singt: „As I’m alone in the forest, I’m one with my surroundings and there’s a lot of peace in that solitude, I’ll be a mountain main ’til the day I die.“ Allein im Forst werde er eins mit allem, Einsamkeit und Frieden, er werde ein Berg sein bis zu seinem Tod. Er werde, singt er weiter, zu sich selbst in der Natur. „Man of the Woods“, das vierte Album des, wenn man die Popmusik noch ernst nimmt, größten weißen Popsängers der Welt, mag in den Wäldern spielen. Dabei handelt es von der Natur des Mannes. Es ist ein vertontes Männerbild mit Fotos in Flanell und Zwirn und 16 Songs im Soundtrack. Dass es Justin Timberlake verkörpert, unseren Mann beim Super Bowl, im Kino und bei YouTube, lässt das Bild noch schärfer wirken und seine Geschichte umso größer. Wer mit elf von seiner Mutter zur Talentsuche chauffiert wird und durchs Kinderfernsehen tanzt, muss erst einmal erwachsen werden. Nach dem „Mickey Mouse Club“ kam *NSYNC, die Boyband mit dem anspruchsvollsten Abschied einer Boyband überhaupt: *NSYNC und Justin traten bei den „Simpsons“ in der Folge „New Kids on the Blecch“ auf und aus ihren lächerlichen Formationen ein für allemal hinaus.
Womöglich hatte Justin einfach Glück, dass er seinen Familiennamen damals wiederhaben durfte, als ein anderer Justin, Bieber nämlich, auf dem Kindermarkt auftauchte. Justin Timberlake veröffentlichte „Justified“, sein erstes eigenes Album. Vier Jahre danach, 2006, erschien sein zweites, „FutureSex/LoveSounds“.
„The 20/20 Experience“ kam in zwei Teilen vor fünf Jahren heraus. Aus Justin Timberlake wurde JT und aus seiner Musik ein R&B für über 30-Jährige mit Stücken, die aus unzähligen Stücken zu bestehen schienen. Als wäre der Klassikrock neu programmiert und für den digitalen Konsumenten wiederaufbereitet worden. „Wenn Pink Floyd, Led Zeppelin und Queen das konnten, dann kann ich es auch“, erklärte Justin Timberlake und sang in „Mirrors“ von seiner bevorstehenden Hochzeit und der Heimkehr zu sich selbst.
Da wäre er nun. In „Breeze Off the Pond“ riecht er das Gras, die Bäume und die Sonne, während er den Tesla durch die Hügel steuert und im Sitzen dazu tanzt. Alles liegt hinter ihm. Die Zeitgenossen und die Weggefährten, denen das Erwachsenwerden nicht vergönnt war, Robbie Williams ist noch immer Robbie, Britney Spears noch immer Britney, und die jüngeren Justins leiden am Dilemma: Je unkindlicher sie sich betragen, desto kindischer werden sie wahrgenommen. Michel Jackson war sogar am Peter-Pan-Syndrom gestorben.
Justin Timberlake war mit Madonna durch ein Video getanzt als halb so alter Herr von Welt. Mit Janet Jackson hatte er 2004 beim Super Bowl getanzt, als wäre ihr nicht das Bustier verrutscht. Er hatte seine Restaurants und seine Modelinien und ließ sich beizeiten einen Bart wachsen wie ein verirrter Eremit. Jetzt hat die Zeit ihn eingeholt und Songs aufnehmen lassen wie „Man of the Woods“, das Lied zum Titel seines Albums: „I’m a man of the woods, it’s my pride. I’m sorry baby, you know I try.“ Hier steht der Mann im Wald und kann nicht anders.
Justin Timberlake sitzt aber auch allein daheim im Fernsehzimmer und starrt in die Welt hinaus. Im Video zu „Supplies“ sieht er die Bilder: Donald Trump, sein Präsident, schaut durch die Kameras zu ihm zurück und über ihn hinweg. „Pussys grab back“, steht auf dem T-Shirt einer Frau, auf anderen „The Future is Female“ und „#MeToo“. Ein Monitor zeigt Harvey Weinstein als Mogul und Monster.
Das Gericht der Welt verhandelt das Geschlecht des Mannes. Donald Trump und seine infantilen Allmachtsfantasien und den Machtmissbrauch der Medienmänner. Alte, weiße, rechte Männer. Unterdessen kämpfen Männer, die sich nichts zu schulden kommen lassen, darum, Männer sein zu dürfen. Manche weinen sich bei Facebook aus, und manche schreiben Bücher darüber, wie sie als Männer zwischen ihren Frauen und Kindern, Freunden und Kollegen innerlich zerrieben werden.
Justin Timberlake singt „Morning Light“, eine Art Genderblues gemeinsam mit Alicia Keys, weil die Natur ihnen dieselbe Stimmlage beschert hat. Seine helle Stimme reicht vom „Mickey Mouse Club“ bis nach Memphis, wo er her- und wieder heimkam. Er hat sich den Sound der Stadt gekauft, die Plattenfirma Stax mit ihren Aufnahmen von Isaac Hayes und Rufus Thomas. Als Barack Obama eine Soul-Soiree im Weißen Haus veranstaltete, sang auch Justin Timberlake, „(Sittin’ On) The Dock of the Bay“ von Otis Redding, und war einfach da.
In seinen Filmen ist er einfach da. Als Folksänger in „Inside Llewyn Davis“, als Sean Parker, der mit Napster und mit Spotify das digitale Popmusikgeschäft wie niemand sonst geprägt hat, in „The Social Network“ und als Bademeister, dem die Frauen vertrauen, in „Wonder Wheel“ von Woody Allen. Auch beim Super Bowl in Minneapolis am Wochenende wird er wieder einfach da sein.
Es ist ein Begriff von Männlichkeit, der sich im laufenden Identitätstheater auch nur noch als Farce durchdeklinieren lässt. Der Mann im Wald als Baum und Berg. Der mühelose Mann als selbstgewisser Spross seiner Natur und Sohn seiner Kultur. Er trägt nicht nur karierte Hemden wie ein Holzfäller, er singt auch davon in „Flannel“, wie ihn die Hemden mütterlich und väterlich im Winter warm hielten. In „Hers“, dem einminütigen Zwischenspiel des Albums, zieht sich seine Frau sein Hemd über, um ihn auf ihrer Haut zu spüren, und erklärt: „It makes me feel like a woman, it makes me feel sexy, feel like I’m his.“
Das muss der Stoff sein, aus dem das ist, was inzwischen auch in Männermagazinen wahre Liebe heißt. Man liest heute davon in Zeitschriften wie „Neon“, in den Selbstbesinnungsaufsätzen der „Zeit“ und in Naturheften wie „Walden“, wo der Mann als idealer Mann und Vater auch mal rausmuss aus dem Haus. In „Livin’ Off the Land“ singt Justin Timberlake auch von seiner Kreditkarte, in „Higher, Higher“ singt er davon, dass Erfolg und Geld zwar schön und gut seien, aber noch nicht das Level, das man Leben nenne.
Wovon man nicht schreiben oder sprechen kann, darüber muss man singen: Wie der gute Mann zur „Clean Version“ seines Roboters wird und wie er seinen Sohn, den „Young Man“, lehrt, ein guter Mann zu sein. Es geht nicht nur um frische Luft und Baumwollhemden, um alte Gitarren und moderne Beats von Timbaland und Pharrell Williams. „My god knows I’m not the man that I want to be“, singt Justin Timberlake: Gott weiß, dass Männer nie vollkommen sind. Mehr muss ein Mann nicht wissen. (Quelle: Die Welt)


Tracklist:
1. Filthy (04:53)
2. Midnight Summer Jam (05:12)
3. Sauce (04:05)
4. Man of the Woods (04:03)
5. Higher Higher (04:18)
6. Wave (04:24)
7. Supplies (03:45)
8. Morning Light (feat. Alicia Keys) (04:03)
9. Say Something (feat. Chris Stapleton) (04:38)
10. Hers (Interlude) (01:01)
11. Flannel (04:49)
12. Montana (04:39)
13. Breeze Off the Pond (04:11)
14. Livin' Off the Land (04:53)
15. The Hard Stuff (03:15)
16. Young Man (03:45)


Clip:
Filthy

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