Lorde - Melodrama




Lily Allen hatte es bereits erkannt: "Lorde smells blood / Yeah, she's about to slay you / Kid ain't one to fuck with / When she's only on her debut." Das liegt ein wenig zurück, damals hatte die mit stolzem bürgerlichem Namen getaufte Ella Marija Lani Yelich-O'Connor lediglich ihr sehr gutes erstes Album "Pure heroine" vorzuweisen. Das hatte – nicht zuletzt dank des Less-is-more-Megahits "Royals" – allerdings schon einigen Eindruck hinterlassen. Und außerdem die besten Lyrics zu bieten, die man im Mainstream-Pop seit Ewigkeiten gehört hatte. Voller Anspielungen, Humor, endlos zitierbaren Onelinern. Nicht zu vergessen: Die Neuseeländerin ist gerade mal Jahrgang 1996. Und hat mit dem Nachfolger "Melodrama" nun etwas geschaffen, das ihr endgültig alle Türen der Welt aufstoßen sollte. Nicht weniger als eine Sensation, verblüffend trotz des schon lange klar erkennbaren Talents.
Den minimalistischen Geist von "Pure heroine" atmet "Melodrama" immer noch, geht jedoch mehr in die Breite und bietet eine schlichtweg perfekte Produktion. Nicht im Sinne von "glattpoliert", sondern dem Zweck angemessen. Die reduzierten Balladen rücken noch ein ganzes Stück näher an den Hörer heran, beim erstickend intimen "Writer in the dark" scheint Lorde unmittelbar ins Ohr zu singen. Zumindest so lange, bis im Refrain die Stimme in verzerrtes Drama ausbricht: "I am my mother's child / I'll love you 'til my breathing stops / I'll love you 'til you call the cops on me." Als größter Unterschied dürfte auf der Gegenseite der unbändige Bombast gelten, der sich vor allem im Opener und im Closer Bahn bricht. Mitverantwortlich dafür ist Jack Antonoff (Bleachers, Fun.), der sich als Co-Writer und Co-Produzent auf allen Stücken verdingt und durchaus weiß, wie ein Track standesgemäß zu explodieren hat. Während "Perfect places" als versöhnlicher, hymnischer Abschluss nach einer emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt gesetzt ist, leitet "Green light" als Lordes bisher bester Song "Melodrama" ein.
Als Vorschau für die restlichen Songs ist bereits hier spürbar, wie viel unter der Oberfläche brodelt. Die Strophe verschleiert kaum, dass jemand mit dem Fuß am Gaspedal wartet, bereit für das titelgebende grüne Licht, bereit für den Endorphinschub, der den fantastischen Refrain durchflutet. Dabei behandelt "Melodrama" auf dem Papier banale Themen. Als lose Chronik einer durchzechten Nacht schildert Lorde die allseits bekannten Höhen und Tiefen jeglicher Couleur, welche die Liebe oder ihre Abwesenheit mit sich bringen. Die Faszination macht dabei ihre textliche Finesse und ihre poetische Gewitztheit aus. Denn todernst ist hier längst nicht alles. Die ersten vorgetragenen Probleme lauten schließlich "I do my makeup in somebody else's car / We order different drinks at the same bars" – Mensch, das Album selbst heißt "Melodrama"! Yelich-O'Connor macht sich gerne lustig über die Dramatik der Lappalien ihrer Mitstreiter und ihrer selbst. Es ist vielleicht der Grund, warum so oft die elende Floskel "Musik für Millennials" bemüht wurde, die leider nur zeigt, dass es nach wie vor alte Sesselpupser gibt, die gern eine Generation in eine Schublade pressen.
"We'll end up painted on the road / Red and chrome / All the broken glass sparkling / I guess we're partying." Die Trockenheit mancher Lines im Vortrag sorgt auch nach zahlreichen Hördurchgängen immer wieder für ein Lächeln. Wenn Lorde mit nüchterner Stimme "What will we do when we're sober?" herausbringt, kann jeder mitfühlen, der sich diese Frage nachts beim Stolpern aus dem Club gestellt hat. Das zweigeteilte "Hard feelings / Loveless" deutet eine Beziehung im Rückspiegel an, die erst mit düsterem Grollen aus der Nähe, dann mit schnippischem Girlie-Pop aus der Ferne kommentiert wird: "Bet you wanna rip my heart out / Bet you wanna skip my calls now / Well guess what? / I like that." "The Louvre" gibt sich im Gegensatz dazu ganz offen einem frisch getrennten Schwarm als Ersatz hin. "They'll hang us in the Louvre / Down the back / But who cares? / Still the Louvre" – schöner wurde das Abstauben eines Trostpreises selten in Worte gefasst.
Die Musik kann bei all dem Schritt halten. Das treibende Klavier in "Green light", die verkaterten Bläser in "Sober" oder der Beat von "Hard feelings", der sich gegen Ende in schmerzhaftes industrielles Quietschen versteigt – alles ist der Gesamtstimmung dienlich. Da stehen subtile rhythmusgetriebene Knochengerüste der Marke The xx neben orchestralen Tränenziehern. Modernität ist vorhanden, Zeitlosigkeit aber wichtiger, was auch im Einklang mit der geschmackvollen Cover- und Artwork-Gestaltung steht. Zu keinem Zeitpunkt entsteht der Eindruck eines Kompromisses, "Melodrama" fließt als grandioses Gesamtwerk von Anfang bis Ende. Die klavier- und streicherbegleiteten Gefühlstäler "Sober II (Melodrama)" und "Writer in the dark" sind perfekt gesetzt, sodass ein extrovertierter, clubtauglicher Uptempo-Track wie "Supercut" umso stärkere Wirkung entfaltet. Hinter dessen Titel verbirgt sich übrigens ein Zusammenschnitt perfekter Momente einer Beziehung durch die Ausblendung von Problemen – eine Aneinanderreihung von Highlights. Also so etwas wie "Melodrama". Und Lily Allen wusste es schon ganz am Anfang.(Quelle: Plattentests)


Tracklist:
01. Green Light 03:54
02. Sober 03:17
03. Homemade Dynamite 03:09
04. The Louvre 04:31
05. Liability 02:51
06. Hard Feelings/Loveless 06:07
07. Sober II (Melodrama) 02:58
08. Writer In The Dark 03:36
09. Supercut 04:37
10. Liability (Reprise) 02:16
11. Perfect Places 03:41


Clip:
Green Light

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