The National - Sleep well beast
Manche Dinge ändern sich nie, meint mancher zu wissen. Und tun sie es dann doch, macht sich die Überraschung breit, in ihrer gesamten Bandbreite von überschwänglicher Begeisterung bis hin zur trauernden Enttäuschung. Veränderungen passieren entweder leise oder laut: im Geheimen, so als wäre nichts gewesen, oder mit großem Tamtam, vollmundig angekündigt. Dass sich The National kaum dazu hinreißen lassen würden, einen potenziell neuen Sound mit bunten Ausmalungen zu bewerben, versteht sich von selbst. Stattdessen veröffentlichten die US-Indie-Rocker im Mai 2017 "The system only dreams in total darkness", gemeinsam mit der Ankündigung ihres siebten Studioalbums "Sleep well beast" – und ließen die Musik für sich sprechen.
In Zeiten, in denen ein orangefarbener Nazifreund im Westen und ein psychiotischer Kumpel von Dennis Rodman im Fernen Osten über Wohl und Weh der gesamten verdammten Erde entscheiden, dürfte auch jeder noch so reaktionäre Fan des Fünfers aus Cincinnati, Ohio eine Thin-Lizzy-Gitarre in einem The-National-Song verkraften. Die Kritiker, die den Alben der Truppe bisher fehlende Highlights unterstellten, hatten nun ein solches. Und was für eines. Wenn noch ein zweiter Song der Band existiert, der dermaßen straight forward drängt, der eine hibbeligere, aufbegehrendere Grundstimmung hat als "The system only dreams in total darkness", der derart polarisierend auftritt, dann halten die Dessners, die Devendorfs und Matt Berninger ihn gut unter Verschluss. Der Song des Jahres? Gut möglich. Außerdem: die erste US-Nummer-Eins des Quintetts. Aber gleichzeitig auch gar unbedingt stereotyp für "Sleep well beast".
Das erste Studioalbum nach vier Jahren, es ist viel zu detailreich, um den einen, neuen Sound der Truppe zu definieren. Trotzdem ist es ein anderer, als noch auf "Trouble will find me". Augenscheinlich ist er elektronischer, wie der klackernde Beat in der zweiten Auskopplung "Guillty party" es bereits andeutete. Die Drones aus "Walk it back" unterstützen die These, die Verzerrungen im Rhythmusgerüst von "Empire line" genauso. "I'll still destroy you", um die Gesangsspur erleichtert, könnte mit seinem Beginn auch auf einer Minimal-Party laufen, gegen Ende sprengt es sämtliche Genre-Grenzen und steht im Gewitter reißerischer Gitarren, esoterisch anmutender Klänge aus dem Synthesizer und sirenenhafter Streicher, entwickelt sich zum zerfaserten und mithin umso gefährlicheren Monstrum.
Nichts passiert zufällig auf "Sleep well beast". Die musikalischen Masterminds der Band, die dahingehend fast symbiotischen Zwillinge Dessner, haben viel ausprobiert in den letzten Jahren, auf Reisen viel gelernt, mit Sufjan Stevens, Justin Vernon, Jonny Greenwood, Damon Albarn und vielen anderen, kurzum der halben Besetzung des Musik-Olymps, gejammt, Festivals kuratiert – und sich für ihr neues Album nicht zuletzt auch deutsche Unterstützung eingeholt: Andi Toma und Jan St. Werner von Mouse On Mars steuerten, gemeinsam mit vielen anderen Gästen, wie etwa Buke And Gase oder Nadia Sirota, von musikalischen Elementarteilchen bis hin zu weniger schemenhaften Sound- und Gesangselementen, einen an Diversität kaum zu überbietenden Klangbaukasten bei. Das Brüderpaar Dessner indes versteht es bestens Auseinanderstehendes zu defragmentieren, Einzelteile in Position zu bringen, das große Ganze zu ordnen, zu orchestrieren im Wortsinne, zumal sie sich dabei auch immer wieder mit Leichtigkeit an neuen Werkzeugen versuchen.
Trotzdem halten die Erweiterungen der musikalischen Kulisse weiterhin an bekannten Charakteristika der Gruppe fest: Allen voran natürlich Berningers Bariton, aber wenn sie den nicht rausschmeißen, wird sein Gesang auch für immer das maßgebliche Element des Band-Sounds sein. Doch da ist auch das impulsive Schlagzeugspiel von Bryan Devendorf, das weiterhin jede Chance wahrnimmt, Stimmungen zu multiplizieren. Das Keyboard im Opener "Nobody else will be there" weckt ebenso Gefühle des Vertrauten, in "Born to beg" wird sein ohnehin sakral-feierliches Auftreten von sanften Chören weiter ausgeführt. Auch das kennt und schätzt man bereits. In "Carin at the liquor store" – der dritten Single – steht es gänzlich Vordergrund. Statt Dagewesenes zu zerpflücken, schärfen die musikalischen Additionen auf diese Weise das Profil des typischen The-National-Sounds.
Dennoch bröckelt der Putz. Denn die US-Amerikaner haben sich aller Zwänge entledigt, um tatsächlich einmal richtig auf ebendiesen zu hauen. 18 Jahre Band-Geschichte waren dazu notwendig, aber schnelle Eisbrecher wie "Day I die" reißen den Himmel auf, schwingen gar das Tanzbein, wie selten zuvor, vielleicht auch, weil es thematisch das Finale sucht. Schellende Gitarren, Breakbeat, Up-Tempo – großartig. Ähnlich "Turtleneck", das den Saiten allen Platz zum Niedeln einräumt, das Berningers sonst so gleichbleibend ruhige und beruhigende Stimme gar zwischendurch entgleisen lässt. Deutlich betulicher, aber genauso wenig ermüdend "Dark side of the gym", eine Ballade zwischen Sportgerät und Slide-Gitarre, mit versetzter, zurückgesteller weiblicher Zweitstimme und einem Hang zum großen Momentum.
Zurück zu den politischen Gefahrenlagen der heutigen Zeit. Warum keine Protest-Platte aus dem Hause The National? "Manches dreht sich um Ehe, manches um meine Beziehung zu Aaron [Dessner] und der Band, manches um Bahnschienen und Tanzen", erklärt Berninger die Themata auf "Sleep well beast". Es hätte wohl niemand ernsthaft erwartet, dass die Gruppe sich explizit in ihren Songs zur Trump-Regierung äußert, wenngleich sie sowohl in der Obama- als auch in der Clinton-Kampagne musikalisch in Erscheinung trat, und auch Berninger mit EL VY entsprechenden Output präsentierte. Die politischen Anklänge von The-National-Songs, sie untergraben selbst die Graswurzeln, zeigen sich reduziert aufs Zwischenmenschliche, auf das Nachdenkliche, auf die Gerechtigkeit im Miteinander, auf das Ethische. Sie lieben statt zu hassen, und setzen so ein Zeichen. Das wiederum hat sich seit ihrem Debüt von 2001 auch bis heute nicht geändert.(Quelle: Plattentests)
Tracklist:
- Nobody else will be there
- Day I die
- Walk it back
- The system only dreams in total darkness
- Born to beg
- Turtleneck
- Empire line
- I'll still destroy you
- Guilty party
- Carin at the liquor store
- Dark side of the gym
- Sleep well beast
Clip:
Day i die
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