Of Montreal - Paralytic Stalks


Das vertonte Aufmerksamkeitsdefizit – "Paralytic Stalks" ist ein Album, so facettenreich wie sprunghaft: unberechenbar, geheimnisvoll, absurd, ästhetisch und grausam zugleich. (Foto: Patrick Heagney) Dass Kevin Barnes – Multiinstrumentalist, Freizeit-Neurotiker und Kopf von Of Montreal – sein musikalisches Wirken stets ganz nah an den Gewässern des Irrsinns inszeniert, ist als Erkenntnis so neu nicht. Mit "Paralytic Stalks", dem mittlerweile elften Album dieser verzogenen, hyperaktiven Kinder des Elephant 6-Künstler-Kollektivs, erreicht sein megalomanischer Pop-Entwurf jedoch ganz neue Dimensionen des eklektizistischen Wahnsinns. Wo sich Sufjan Stevens' "The Age Of Adz" an der konzeptuellen Umsetzung des Lebens und Wirkens eines schizophrenen Genies abarbeitete, komponieren sich Of Montreal eine Stunde Musik zusammen, die nur eine Inspiration benötigt: den verqueren Geistes-Kosmos ihres Bandleaders höchstselbst; was mindestens so beeindruckend wie beängstigend ist. Im musikalischen Niemandsland zwischen über-psychedelisiertem Prog-Rock eines Syd Barrett, groteskem Glam-Rock und experimentellem Pop der "White Album"-Beatles klingt "Paralytic Stalks", einiger inhaltlichen Schwere zum Trotz, wie ein diebisches Vergnügen und diabolische Psycho-Studie zugleich. Von zuckersüß zu albtraumhaft-verspannt vergehen oft nur wenige Sekunden und wer meint, sich dem Album im Vorbeigehen widmen zu können, wird schnell verzweifeln. Das Spiel mit Dissonanzen, rhythmischen Verschiebungen und Motiv-Variationen geht dieser Truppe derart leicht von der Hand, dass sie dementsprechend häufig und ausgiebig Gebrauch von ihrer unzweifelhaft hohen Musikalität macht. Ein solch offensiv zur Schau getragener Anspruch kommt freilich auch sehr schnell etwas überkandidelt daher, das stört die Protagonisten aber herzlich wenig, bleibt ihr Ohr doch stets auf Popmusik justiert. In dieser allumfassenden Spannung machen es sich Of Montreal gekonnt gemütlich. Frei nach dem Motto: prätentiös, kapriziös, strapaziös. Of Montreal - "Dour Percentage" "I spent my waking hours haunting my own life / I made the one I love start crying tonight / and it felt good / still there must be a more elegant solution" – es ist durchaus keine Schande, wenn man sich dabei erwischt, die persönlichen und bleischweren Lyrics vor sich hin zu trällern. Dem antizyklischen Selbstverständnis dieses Langspielers Rechnung tragend, entstammen diese oftmals den eingängigeren Passagen, was sie nur umso verstörender wirken lässt. Insgesamt ist das zitierte "Spiteful Intervention" – wie abgedreht es für Of Montreal-Ungeübte auch klingen mag – im vorderen Abschnitt der neun Songs gut aufgehoben, suhlt sich dieser doch exzessiv im hippiesken 60s-Pop ("Dour Percentage") und bleibt damit noch am ehesten fassbar. Was sich aber – spätestens beginnend mit "Ye, Renew The Plaintiff" und erst beim Viertelstunden-Trip namens "Authentic Pyrrhic Remission" endend – im hinteren Abschnitt ereignet, entzieht sich selbst wohlwollenden Ohren von Zeit zu Zeit. Aufmerksame und nervenstarke Hörer werden aber, und das ist das eigentlich Erstaunliche, nichtsdestotrotz reich belohnt. Auch wenn es rätselhaft bleibt, wie es diesem Karneval auf LSD gelingt, den irren Überbau immer wieder durch mitreißende Melodien und Hooklines zu veredeln. Of Montreal - "Wintered Debts" Dass die Gleichung, die zu diesem avantgardistischen Pop-Album führt, aufgeht, ist nicht zuletzt der bemerkenswerten Produktion zu verdanken, die auch noch den letzten abstrusen Soundschnipsel in den richtigen Kontext zu setzen weiß. Ein sehr persönlich textender, offenherziger Kevin Barnes, hervorragende Musiker, der stete Wille zur kommerziellen Verweigerung und die glasklare Produktion machen "Paralytic Stalks" zu einem zwar äußerst fordernden und nicht immer nachvollziehbaren Gesamtkunstwerk, das dafür aber mit Sicherheit zu den spannendsten Indie-Pop-Alben dieses noch jungen Jahres zählen dürfte.(Quelle: motor.de)

Tracklist:
01. Gelid Ascent
02. Spiteful Intervention
03. Dour Percentage
04. We Will Commit Wolf Murder
05. Malefic Dowery
06. Ye, Renew The Plaintiff
07. Wintered Debts
08. Exorcismic Breeding Knife
09. Authentic Pyrrhic Remission

Clip:
Spiteful Intervention

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Silver Lining - Heart and Mind Alike

Trentemoeller - Reworks