Arcade Fire - Reflektor


 Man kam in den letzten Wochen und Monaten kaum noch nach, wenn es um diese Band ging. Wohin man auch guckte, lauschte oder in den unendlichen Weiten des Internets las: Arcade Fire waren immer und überall schon da. Und ließen häppchenweise Infos zum neuen Album raus.
Mal wurde die Tracklist präsentiert, mal gab es Teaser zu Songs und Videos, dann tauchten die Texte zu einzelnen Liedern auf. Bevor dann darüber berichtet wurde, warum David Bowie, Fan der ersten Stunde, einen Gesangspart bei der Vorab-Single übernommen hat, die Musiker zum Start der neuen Staffel von „Saturday Night Live“ auftraten und schließlich, komplette Songs und Videos waren mittlerweile im Netz, Arcade Fire in Montreal einen Cameo-Auftritt im Latin-Disco-Club „Salsathèque“ hinlegten. Als „The Reflektors“, für schlappe neun Dollar und anfangs mit zwei Menschen auf der Bühne, die überdimensionale Pappmachéköpfe trugen, sodann unsanft von der Spielfläche geschubst wurden und sich, einander anschweigend,  nach dem Abnehmen der Pappköpfe als Ben Stiller und Bono entpuppten.
So ist das anno 2013, wenn erfolgreiche Künstler (ihr letztes Album „The Suburbs“ wurde 2011 mit einem Grammy prämiert, außerdem gewannen Arcade Fire zwei Brit Awards), die schon immer auch Kritikerlieblinge waren, ein neues Produkt bewerben: Die PR-Maschine läuft besser, wenn Prominenz assistiert. Mehr als nur ein bisschen genervt haben die Werbemaßnahmen der Ankündigungsprofis von Arcade Fire zuletzt trotzdem, und deshalb ist es gut, dass der Reklame-Adler, der so lange kreiste, jetzt endlich gelandet ist. 
Massenkompatibilität und Ambition
Schlicht „Reflektor“ heißt das Werk, dass mit einer Länge von rund 75 Minuten auf eine Doppel-LP passt und dem man mit dem ersten Ton anmerkt, dass die Band, die Massenkompatibilität stets mit Ambition verknüpfte, auch mit dem vierten Album noch etwas will. Und zwar in erster Linie einmal das: keineswegs auf dem Kreativparkplatz zügig einparken und stehen bleiben. Mit dem Titelsong startet „Reflektor“, es ist eben jener Song, in dem David Bowie ein bisschen mitsingt. Auf der Textebene serviert Win Butler Altbekanntes, es geht um das Sich-Verlieren in einer eigentlich sattsam bekannten und doch immer wieder aufs Neue seltsamen Welt. „I thought I found the connector“, singt Win Butler, „it was just a reflektor.”
So vertraut uns Arcade Fire in der Lyrik-Liga vorkommen, so ungewohnt und neu ist ihr Sound. Normalerweise speist der sich bei den Kanadiern aus allerlei Quellen: Folk, Rock, Pop und Ethno-Geklingel, er hat die Melodramatik des Operettenhaften auf der Rechnung, ist ein emotionaler Dampfhammer, dramaturgisch dicht und dichter. Mit „Reflektor“ wird das anders. James Murphy, der Mann, der LCD Soundsystem war und nicht nur Clubs beschallte, sondern als Bescheidwisser in Sachen Beats den Clubgedanken auch fest in Herz und Hirn verankert hat, hat das Album zusammen mit der Band produziert. Und den Musikern um Win Butler und dessen Gattin Régine Chassagne den Mut zur Reduktion bei gleichzeitiger Groove-Erweiterung beigebogen.
Sich nicht so ernst nehmen
Ein strammer Siebenminüter ist „Reflektor“, er hat Disko-Beats, Percussion und irgendwo weit hinten auch Gitarren, und er hat vor allem das: eine tolle Sogwirkung. Und zwar eine, die sich fortsetzt. Wer „We Exist“ hört, denkt erstens: The beat goes. Und zweitens womöglich ob des Basslaufs an die spanische Rockgruppe Los Bravos. Und „Black Is Black“, ihr One-Hit-Wonder aus den 60er Jahren.
Wie auch immer: Unüberhörbar ist, dass die Messe, die Arcade Fire feiern, diesmal nicht rund um den Klangaltar stattfindet. Sondern auf der Tanzfläche, sie ist eine dringende Aufforderung zum Tanz. Und spätestens bei „Here Comes The Night Time“ sind die Bilder aus den besagten umfangreichen Reklamemaßnahmen im Vorfeld des Albums wieder da. Im Video zum Song musiziert die Band in weißen John-Travolta-Gedächtnis-Anzügen, lustige Tier-Applikationen inklusive.
Dass das alles auf der Grundlage einer Calypso-Melodie mit Reggae- und Dub-Beimischungen passiert und etwas mit der Disko als Sehnsuchtsort zu tun hat, an dem soziale Unterschiede keine Rolle spielen, hätten wir auch ohne diese speziellen Klamotten kapiert. Ein Mix aus Studio 54 und haitianischem Voodoo sei das Stück – so hat es Win Butler dem „NME“ erzählt. Arcade Fire machen mit ihrem vierten Album da eine verdammt gute Figur, wo man sie nie vermutet hätte: auf der Tanzfläche. Auch deshalb, weil sie es mit ihrer Musik immer noch ernst meinen. Aber sich selbst nicht mehr ganz so ernst nehmen. (Quelle: Kölner Stadt Anzeiger)

Tracklist:
00. Hidden Track
01. Reflektor
02. We Exist
03. Flashbulb Eyes
04. Here Comes the Night Time
05. Normal Person
06. You Already Know
07. Joan of Arc

Disc 2
01. Here Comes The Night Time II
02. Awful Sound (Oh Eurydice)
03. It’s Never Over (Oh Orpheus)
04. Porno
05. Afterlife
06. Supersymmetry

Clip:
Reflektor

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