Cherry Ghost - Herd runners
Vögeln einen Karriereschub zu verdanken, war vermutlich das Letzte, was Simon Aldred sich vorgestellt hatte. Eine junge Dame namens Birdy machte seinen Song "People help the people" Ende 2011 zu einem veritablen Hit. Das Stück war ursprünglich vier Jahre zuvor auf dem Debüt "Thirst for romance" seiner Band Cherry Ghost erschienen und bis dahin, vollkommen zu Unrecht, weitgehend unbeachtet geblieben. Auch "Beneath this burning shoreline", das ausgezeichnete Zweitwerk der fünf Herren aus dem englischen Bolton, bekam nicht die verdiente Aufmerksamkeit und schaffte es in den UK-Albumcharts mit Mühe auf Platz 40. Es ist deutlich leichter zu benennen, woran es nicht gelegen haben kann, als Gründe zu finden, die das kommerzielle Scheitern erklären würden. Keinerlei Schuld trifft jedenfalls Aldreds hervorragendes Gespür für Melodien und sein sicheres Händchen für Tearjerker-Arrangements zwischen hemmungsloser Romantik und würdevoller Nostalgie.
Auch die zehn neuen Kompositionen auf "Herd runners" machen da keine Ausnahme. Schon der Opener "Clear skies ever closer" legt den Gehörgang mit fliederfarbenen Federkissen aus und bettet darauf verschwenderische Streicher von himmlischer Schönheit. Aldred schmachtet und schwärmt, koloriert Melodien in den hinreißendsten Nuancen und erschafft eine kolossale Klangidylle, die eigentlich viel zu schade dafür ist, unentdeckt wieder in der Versenkung zu verschwinden. Aldred beobachtet immer noch mit Vorliebe das Leben der Anderen und bündelt seine Beobachtungen und Erkenntnisse in ebenso pointierten wie mitfühlenden Worten. Die Grundstimmung ist dieses Mal allerdings weniger düster als auf den ersten beiden Cherry-Ghost-Alben, dafür erlaubt er sich aber auch das eine oder andere lyrische Klischee: Er singt ohne jegliche Ironie Zeilen wie "Every end is a beginning", "What's a life / If not for living" oder "In a heartbeat / The world could turn." Und das Schönste ist: Er kommt auch noch durch damit. Lächelnd.
In "Joanne" gibt er galant den Frauenversteher und klingt wie ein verlorener Bruder der Everly Brothers, präsentiert sich in "Love will follow you" außerordentlich beschwingt und hat mit "Drinking for two" ein ganz besonderes Kleinod parat. Es beginnt mit antiquarischen Streichern, wie man sie aus alten Schwarz-Weiß-Filmen kennt, und mündet in das stilvoll vorgetragene Sehnsuchtsprotokoll eines geduldig Wartenden, der sich die blaue Stunde damit vertreibt, aus Einsamkeit doppelt so viel zu trinken. Von Aldreds elektronischem Soloprojekt Out Cold ist auf dem neuen Cherry-Ghost-Album nichts mehr zu spüren – abgesehen von den paar Sekunden dezenter Synthetik, die "Sacramento" eröffnen. Dass Produzent Colin Elliot vor allem durch seine Arbeit mit Richard Hawley bekannt wurde, muss fast nicht extra erwähnt werden. Das hört man. Ebenso wie Aldreds amourösen Optimismus, der ganz offensichtlich auch eine Hommage an seine gefiederten Freunde ist: "Love will follow you like a bird." Es wäre ihm sehr zu wünschen, dass "Herd runners" nicht bloß auf Tauben-Ohren stößt.(Quelle: Plattentests)
Tracklist:
1. Clear Skies Ever Closer |
2. Don't Leave Me Here Alone |
3. Fragile Reign |
4. Sacramento |
5. The World Could Turn |
6. Drinking for Two |
7. Herd Runners |
8. MyLover Lies Under |
9. Love Will Follow You |
10. Joanne |
Clip:
Clear Skies Ever Closer
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