Purity Ring - Another Eternity



Manchmal scheint nun auch die Sonne über den karg zersplitterten Gründen, über denen die Musik von Purity Ring sich erhebt; mild befunkelt sie die Klüfte und Schründe, aus denen das Unvordenkliche und Unbewusste in ihre Liebes- und Liebesleidlieder dringt; manchmal gleißt ihr Licht auch so hell, dass man beim Hören die Lider verschließt; dann tanzen einem im Dunkeln diese Flecken vorm Auge, die aus beschädigter Netzhaut entstehen.
Immer noch singt Megan James auf ihre trügerisch naive Art von sexueller Ekstase und Selbstunterwerfung, von Todessehnsucht und Liebeslust; immer noch lässt Corin Roddick dazu Orchester-Samples schnaufen und zähe Beat-Wellen schwappen - wie schon auf dem epochalen Debüt "Shrines" von 2012, auf dem Purity Ring den romantischen Elektropop so radikal neu erfanden wie niemand sonst in den letzten Jahren. Denn so radikal wie dieses kanadische Duo verband niemand sonst schwelgendes Sehnen mit körperlich unmittelbarem Trieb. Wenn Megan James von ihrem Wunsch nach Zweisamkeit sang, ging es nicht bloß um die Vereinigung zweier Herzen oder von Scheide und Glied. "Komm ein bisschen näher/ und schneide mir den Brustkorb entzwei", hieß es da, "ziehe meine kleinen Rippen fest um Dich."
Auch das Nachfolgewerk "Another Eternity", für das sie sich fast drei Jahre Zeit ließen, bringt Unbehagen und Naivität wieder in die sonderbarste Verschränkung. Mit großen Augen übertreibt Megan James kleine Gefühle und malt ihr Leid in Dimensionen von kosmischem Schmerz. Wird ihr weh um Herz, schüttelt es ihren ganzen Körper in spastischen Schüben; kann sie zu ihrem Geliebten nicht finden, sieht sie Erde und Mond in Sonnenstürmen vergehen.
So herrscht erneut große Finsternis in diesen Liedern, doch haben Purity Ring aus der Gothic-Ästhetik ihres Debüts zugleich in ein weit größeres Klangpanorama gefunden. Das mindere Tempo und das trügerische Gehauche, in dem einst vor allem Witch House und Post-Dubstep widerhallten, ergänzen sie diesmal durch Elektropop- und Clubmusik-Zitate aller nur denkbaren Art. Auch an Stadion-Rave kann man denken: Manchmal heulen David-Guetta'sche Fanfaren plötzlich in einen metallen klonkenden Beat, den sich auch Future Brown (siehe unten) oder Arca ausgedacht haben könnten.
Bei manchen Kritikern hat diese Wendung zum Mainstream-Klang schon für Missvergnügen gesorgt. Doch wer "Another Eternity" darauf verkürzt, übersieht, wie individuell, kalkuliert selbstzerstörerisch und doch innig die Dramaturgien sind, in die Purity Ring diese Zitate bringen. Unablässig wechselt Corin Roddick das Tempo und die Temperatur der Musik, lässt fließende Bewegungen plötzlich erstarren und rhythmisch fein verknittelte Geflechte - fump! - in Gravitationssenken verschwinden. Megan James nimmt jede dieser Herausforderungen an, findet zu jedem Puls, jeder Schwere und jeder plötzlichen Leichtigkeit traumwandlerisch die rechte Tonalität, fleht, barmt und behauptet sich tapfer gegen das Chaos der Sounds und der Gefühle, das sich doch niemals besiegen lässt.(Quelle: Spiegel.online)

Tracklist:
1. Heartsigh
2. Bodyache
3. Push Pull
4. Repetition
5. Stranger Than Earth
6. Begin Again
7. Dust Hymn
8. Flood On The Floor
9. Sea Castle
10. Stillness In Woe

Clip:
Bodyache

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