Far - At night we live

Mit „At Night We Live“ melden sich Far zwölf Jahre nach ihrer Trennung zurück und schaffen es erneut, Härte und Emotionalität auf grandiose Weise zu verbinden. Die Kalifornier waren immer eine Ausnahmeerscheinung. Mit „Tin Cans With Strings To You“ und „Water & Solutions“ schufen sie Ende der 90er Jahre zwei Alben, die zwar nie das ganz große Publikum erreichten, in der Folgezeit jedoch unzählige Bands beeinflussen sollten. So nennen etwa Thursday, Jimmy Eat World oder auch Blink 182 immer wieder den Namen Far, wenn sie nach Referenzen für ihren eigenen Sound befragt werden. Als um die Jahrtausendwende dann der große Nu Metal-Hype einsetzte und ihre Plattenfirma sie in diesem Fahrwasser als Radioband verkaufen wollte, hatten sie genug. Interne Probleme taten ihr Übriges und so löste sich die Band im Jahre 1998 auf.


Nach zwölf Jahren kehren sie nun also zurück auf die Bildfläche und Musikjournalisten bekommen noch immer graue Haare, wenn sie versuchen Far in eine Genre-Schublade zu pressen. Dass dies schlichtweg unmöglich ist, beweist „At Night We Live“ aufs Neue. Sicher sind Vergleiche mit den befreundeten Deftones - welche wie Far ebenfalls aus dem kalifornischen Sacramento stammen - vor allem im Hinblick auf Jonah Matrangas emotionalen Gesang nicht ganz abwegig, aber beide Bands lehnten es ja – zurecht - stets ab, mit dem Prädikat "Nu Metal" versehen zu werden. Auch die Kategorien "Emo-" oder "Posthardcore" werden Far nicht wirklich gerecht. So bleibt vielmehr festzuhalten, dass sie nachwievor in ihrer ganz eigenen Liga spielen. Dies wird direkt im Opener „Deafening“ deutlich, welcher mit einem kraftvollen Riff und ordentlich Hitpotential schon nach wenigen Sekunden alle Zweifel an dieser Reunion hinweg fegt. Wie facettenreich Far auch heute noch sind, wird dagegen in „When I Could See“ deutlich, welches zunächst ruhig und melancholisch beginnt, bis Gitarrist Shaun Lopez den Song in eine hoffnungsvollere Richtung lenkt und im Zusammenspiel mit Jonah Matranga schließlich emotionale Sphären erreicht werden, von denen man erst einmal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt werden muss. Dafür sorgt im Anschluss das straighte „Give Me A Reason“, welches einen weiteren Anwärter auf einen Platz in den Playlists der alternativen Radiostationen darstellt. „Dear Enemy“ beginnt dann gar mit einem Pantera-Riff, während der Song im Refrain durch Halftime-Rhythmik aufgebrochen wird und Jonah Matranga das schwierige Verhältnis zu Gitarrist Shaun Lopez zu verarbeiten scheint („And if our words were guns, we’d be dead and gone / Why do we fight like this, Dear enemy?").

Überhaupt reflektiert diese Platte vieles von dem, was in den letzten zwölf Jahren geschehen ist. So avanciert etwa „Fight Song #16.233.241“ zur Hymne auf den Neuanfang, wenngleich in diesem Stück greifbar wird, wie schwer die damals noch jungen Mitglieder der Band vor der Trennung 1998 unter den Schwierigkeiten gelitten haben, die ein Banddasein so mit sich bringen kann. Stichwörter: Externer Druck und interne menschliche Differenzen. Die Highlights des Albums sind aber zweifelsohne der Titeltrack der Platte, welcher textlich den schweren Unfall des Deftones-Bassisten Chi Cheng verarbeitet und das anschließende „Better Surrender“. In beiden Stücken wird all das zur Perfektion getrieben, was Far auch im Jahre 2010 noch so besonders macht: Jonah Matrangas einzigartige Stimme und Shaun Lopez‘ Gitarrenspiel, welches so weit draußen im Universum zu stehen scheint, dass nur die straighte Arbeit der Rhythmusfraktion die Füße fest im Hier und Jetzt verankert hält. Mit dem epischen, fast achtminütigen „The Ghost That Kept On Haunting“ endet schließlich eine abwechslungsreiche Reise, die den Hörer – passend zur Bandgeschichte der Band – durch emotionale Höhen und Tiefen manövriert, auf welche man sich aber liebend gern wieder und wieder begibt. Far bleiben also eine Ausnahmeband. Noch immer in keinem Genre so richtig heimisch, ist ihnen nach zwölf Jahren Albumabstinenz mit „At Night We Live“ bemerkenswertes gelungen. Dieses Album dürfte – und da schließt sich der Kreis - neben „Diamond Eyes“ von den Deftones, als eines der wichtigsten Werke 2010 im Bereich harter, emotionaler Rockmusik in Erinnerung bleiben.

Tracklist:
1. Deafening

2. If You Cared Enough
3. When I Could See
4. Give Me A Reason
5. Dear Enemy
6. Fight Song #16,233,241
7. At Night We Live
8. Burns
9. Better Surrender
10. Are You Sure
11. The Ghost That Kept On Haunting
12. I´m Gone (Bonus Track)
13. Long Snake Moan (Bonus Track)

Clip:
At night we live

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