Father John Misty - Pure Comedy



Natürlich geht dieser Satz einem zur Misanthropie neigenden Zeitgenossen wie Father John Misty nicht leicht von der Zunge. Schon gar nicht, wenn er die vorangegangen sechs Minuten im Titeltrack des dritten Longplayers unter diesem Namen über die "Pure comedy" geätzt hat, die da das Leben, das Universum und der ganze Rest ist. Die Menschheit ist nur eine Komödie, keine göttliche allerdings, sondern eine ziemlich lächerliche. "And they get terribly upset / When you question their sacred texts / Written by woman-hating epileptics" – selbstverständlich sind blinde Religionshörigkeit und Misogynie auch nicht vor Josh Tillmans Alter Ego sicher. Im weiten Sinne ist "Pure comedy" in seiner Gesamtheit ein konzeptueller Zyklus über die Schlechtigkeit des Menschen an sich. Und doch gibt Tillman an die Horde Homo Sapiens reichlich zurück. Nämlich sein mit Abstand längstes, detailreichstes, größtes und bestes Album.
"Was werden sie ohne meine messerscharfen Analysen machen?", fragt sich in "Ballad of the dying man" sinngemäß ein auf dem Sterbebett liegender Social-Media-Kommentator. Im WWW ist sich eben nicht nur jeder selbst der Nächste, sondern auch der Wichtigste und Klügste. Ob sich Father John Misty damit seine eigene Kritik geschrieben hat, ist unklar. Schließlich ist der aus Maryland stammende 35-Jährige Dauergast in den Musikmagazins-Klatschspalten. Um scharfe Worte, vernichtende Urteile oder gar mehrminütige Bühnen-Rants, denen mal eben ein Festival-Set zum Opfer fällt, ist er nicht verlegen. "Er" – wer denn eigentlich? Misty oder Tillman? Wie viel Josh steckt in Father John? Die Zeilen "A little less human with each release / Closing the gap between the mask and me" aus "Leaving LA" lassen sich zumindest als Andeutung der Wahrheit lesen. Überhaupt, "Leaving LA"...
Unrecht hat er angesichts dieses Brockens von Song im Zentrum dieses Brockens von Album womöglich nicht. Tillman schreibt hier sein "Desolation row", ein klagendes Lied, 13 Minuten lang weinende Streicher über sparsamer Gitarrenbegleitung, ohne Song-, dafür mit Sogentwicklung. Das lyrische Setup besteht aus einem fiktiven kalifornischen Erdbeben, driftet jedoch zunehmend in Kindheitserinnerung, Meditation, Beobachtung ab. Dass die Elegie mit den unvollendeten Worten "What we both think now is..." endet, deutet zumindest an: Misty könnte noch weiter, wenn er wollte. Und behält als Personalunion von Waldorf und Statler stets die Oberhand, den beobachtenden, kritischen Blick vom Balkon. Immer mit leichter Arroganz, aber nie unleidlich. Stellenweise wird er sogar sentimental.
Der liebliche Softrock von "Smoochie" mag das einzige Stück der Platte sein, in welchem Father John Misty wie so oft in früheren Zeiten auf das Zwischenmenschliche zurückkommt. Ein "I love you, honeybear" kommt ihm zwar nicht über die Lippen. Aber wenigstens ein paar warme Worte für sein "Smoochie". Denn ansonsten ist "Pure comedy" mit höheren Ambitionen beschäftigt. Und wenn schon die universellen Themen angepackt werden, muss die Musik in Sachen Vielfältigkeit und Virtuosität selbstverständlich nachziehen. Klar, im Kern bleibt der Kammerpop Tillmans Disziplin. Nur ist die Kammer einfach viel größer geworden. Die Piano-Nummer "When the god of love returns there'll be hell to pay" wird durch sakrale Chöre verfeinert, "Birdie" brummt und zirpt elektronisch, die ins Noisige driftende Klimax von "Things it would have been helpful to know before the revolution" ist schlichtweg umwerfend. Auch nach unzähligen Durchläufen ist ein Ende der Detail-Entdeckung nicht abzusehen.
Legionen von Worten werden zu Gedanken gesponnen, musikalische Motive kommen und gehen, in den Wimmelbildern im Artwork gibt es unendlich viel zu entdecken. "Pure comedy" ist nicht einfach ein Album, es ist ein Werk. Und ein Werk braucht einen krönenden Abschluss. Den allein würde bereits der absolute Höhepunkt "So I'm growing old on Magic Mountain" liefern. Was in dieser um sich kreisenden Altersfantasie ab der Hälfte an instrumentalem Feuerwerk passiert, raubt den Atem. Doch das folgende "In twenty years or so" schwebt im Feeling mit den Elfen entlang, erinnert beinahe an Sigur Rós und setzt tatsächlich ein finales Ausrufezeichen. Inklusive mehrerer Fake Endings. Monumentalschinken brauchen eben so einen Abgang, siehe auch bei "Der Herr der Ringe". Father John Misty straft ein weiteres Mal Bitterkeit und Sarkasmus an der Oberfläche Lügen: "Du bist vollkommen unbedeutend im Universum. Sieh es ein, dass sich nach deinem Ableben die Erde unbeeindruckt weiterdreht. Aber das ist okay. Damit kann man leben." Und schließt mit den Worten:
"There's nothing to fear." (Quelle: Plattentests)


Tracklist:
1. Pure Comedy 06:23
2. Total Entertainment Forever
3. Things It Would Have Been Helpful to Know Before the Revolution
4. Ballad of the Dying Man
5. Birdie
6. Leaving LA
7. A Bigger Paper Bag
8. When the God of Love Returns There'll Be Hell to Pay
9. Smoochie
10. Two Wildly Different Perspectives
11. The Memo
12. So I'm Growing Old on Magic Mountain
13. In Twenty Years or So


Clip:
The Film

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