Bob Dylan - Tempest
Der alte Meister hat wieder eine Großtat
abgeleifert, ohne dabei eine Parodie seiner Selbst zu werden oder auf Teufel
komm raus modern zu wirken. Ein blick in die Vergangenheit ohne nervige
Nostalgie.
Fünfzig Jahre nach seinem Debüt setzt Bob Dylan eine Serie
großer Alterswerke fort. Das neue Album "Tempest" präsentiert den
König der Singer/Songwriter in Hochform. Als wäre er, einem alten Songtitel
entsprechend, "Forever Young".
Ob es Zufall ist, wenn ein betagter Titan wie Bob Dylan sein
neues Album "Tempest" nennt? Das erinnert doch stark an "The
Tempest" ("Der Sturm"), das bekanntlich letzte Großwerk von
Dichterfürst William Shakespeare. Als die Neuigkeit von der ganz ähnlich
betitelten, etwa 35. Studioplatte des bedeutendsten Rock-Poeten die Runde
machte, wurde sogleich geraunt, das sei's dann wohl gewesen - dies könne Dylans
Abschiedsalbum sein.
Man hofft, dass es anders kommt: Denn "Tempest" ist,
obwohl nicht eine seiner allerbesten, so doch wieder eine sehr starke Platte.
Und daran hat man sich bei Dylans Spätwerk dankbar gewöhnt.
Der Verdacht eines Karriere-Endes liegt ja nicht so fern: Stolze
71 ist der Mann, in Ehren ergraut und hutzelig, die Stimme vom oft rabiaten
Gebrauch schartig und beißend (obwohl er auf seine Art immer noch toll singen
kann). Vor einem halben Jahrhundert brachte Dylan sein Folk-Debüt heraus, viele
Triumphe und manche Krisen folgten, alle denkbaren Auszeichnungen bekam er
natürlich auch (bis auf den Literaturnobelpreis, für den er wegen seiner Texte
Jahr um Jahr als einer der Favoriten gilt). Und erst kürzlich ließ sich ein
stoischer Bob Dylan von Präsident Barack Obama die höchste zivile Auszeichnung
der USA umhängen, die Freiheitsmedaille.
Aber Robert Allen Zimmerman aus Duluth/Minnesota hat noch einiges
mitzuteilen - ob bei der Live-Präsentation seines gewaltigen Werks auf der
"Never Ending Tour" rund um die Welt (seit 1988!) oder eben auf
Platte. Und so nimmt sich Dylan in den zehn "Tempest"-Songs viel
Zeit, um seine Geschichten zu erzählen. Was er da, zur archaischen Folk- und
Blues-Musik seiner treuen Tourneeband, an Lebensweisheiten und düsteren Dramen
zum besten gibt, dürfte den fanatischen Genie-Kult der unzähligen
"Dylanologen" aufs neue anfachen.
Vor allem der Titelsong, der über 14 Minuten und Dutzende
Strophen ohne erlösenden Refrain vor sich hin mäandert, wird selbst Experten
manche Nuss zu knacken geben. Es geht um die letzten Stunden der
"Titanic", und Dylan nimmt sich für seine Schilderung der
Jahrhundert-Katastrophe manch' dichterische Freiheit. Auch ein Zeichner namens
Leo taucht auf, und wer denkt da nicht an die Kino-Version des Legendenstoffs
mit Leonardo DiCaprio? "Ja, Leo", sagte Dylan in einem seiner
seltenen Interviews dem US-"Rolling Stone". "Ich denke, das Lied
wäre ohne ihn oder den Film nicht dasselbe." Man dürfe eben nicht
erwarten, dass er sich immer an die Fakten halte. "Ein Songwriter kümmert
sich nicht um die Wahrheit."
Auch in der Ballade "Roll On John" nimmt sich Dylan
recht eigenwillig einen Mythos vor: John Lennon, jenen Kollegen, den er wohl
auf Augenhöhe mit sich selbst vermutet. Zu einer feierlichen Folkrock-Melodie -
sie erinnert gewiss nicht zufällig an sein eigenes "Forever Young" -
erzählt der Amerikaner von einem Leben, das in Liverpool begann, zur
Pop-Revolution der Beatles führte und nach 40 Jahren durch einen Mord in New
York endete. Eine anrührendere, beseeltere Würdigung lässt sich kaum denken.
Überhaupt liegt fast schon Gospel-Stimmung über einigen dieser
sprachgewaltigen, musikalisch eher schlichten Lieder. Und tatsächlich:
"Ich wollte eindeutig religiöse Songs", sagte Dylan dem "Rolling
Stone". Und fügte bescheiden hinzu: "Aber es erfordert viel mehr
Konzentration - wenn man zehnmal etwas aus demselben Stoff erschaffen will -
als das, was bei dieser Platte am Ende herauskam."
Nun ja: Der charmante Swing von "Duquesne Whistle" ist
auch nicht zu verachten. Oder der an Blues-Legende Muddy Waters erinnernde Song
"Early Roman Kings". Oder das Liebeslied "Soon After
Midnight" im Stil der 50er Jahre. Banjo, Geige und Akkordeon verstärken
die klassische Rockband um den herausragenden E-Gitarristen Charlie Sexton. Hin
und wieder hat man den Eindruck von Malen nach Zahlen, so vertraut klingt
manche Melodie. Aber insgesamt ist "Tempest" ein Dylan-Album, das
sich mit den besten seiner Alterswerke - "Time Out Of Mind" (1997)
und "Modern Times" (2006) - durchaus messen kann.
Und was die Abschiedsgerüchte betrifft - da muss Dylan doch etwas
klarstellen: "Shakespeares letztes Werk hieß ja "The Tempest" -
nicht "Tempest" wie meine Platte. Das sind zwei ganz verschiedene
Titel." Man kann sich vorstellen, wie der alte Grantler dabei in sich
hineinschmunzelte. Um dann - "forever young" - weiterzumachen.
(Quelle: Stern
Tracklist:
1. Duquesne
Whistle
|
2. Soon After
Midnight
|
3. Narrow Way
|
4. Long and
Wasted Years
|
5. Pay In Blood
|
6. Scarlet Town
|
7. Early Roman
Kings
|
8. Tin Angel
|
9. Tempest
|
10. Roll On John
|
Clip:
Kommentare
Kommentar veröffentlichen