Green Day - Revolution Radio

Die Welt am Abgrund, die Jugend rastlos, eine historisch wichtige Präsidentschaftswahl vor der Brust. Green Day, von denen kaum jemand mehr etwas Großartiges erwartet hätte, treten auf den Plan, können die Wiederwahl von George W. Bush jedoch trotz des aufrüttelnden, ambitionierten und abermillionenfach verkauften "American idiot" nicht mehr verhindern. So der Stand 2004. Zwölf Jahre später sieht es politisch nicht gerade besser aus. Mit Donald Trump steht ein nicht minder gefährlicher Kandidat in den Startlöchern, der sich zwar eigentlich bei jeder zweiten Äußerung als herzlos und zum Rassismus neigend entpuppt, aber trotzdem noch im Rennen ist, was wohl als Symptom für die momentane Lage in Amerika zu verstehen ist. Also, so könnte man schließen, braucht man Green Day nun in besserer Verfassung als je zuvor. Nur ernsthaft erwarten würden das wohl nicht einmal jene, die selbst die Albumtrilogie aus "¡Uno!", "¡Dos!" und "¡Tré!" bedingungslos abgenickt haben. Und vor allem niemand, der sich jedes Jahr dem Ende des Septembers entgegensehnt, wenn die Radiolandschaft wenigstens von einem der völlig überspielten Hits aus "American idiot" wieder befreit ist. Genau dort soll nun aber die nächste Revolution stattfinden, mag man Green Days zwölftem Album, "Revolution radio", Glauben schenken.
Die erste Single dämpfte gleich jegliche Erwartungen und man durfte sich bei allem Respekt vor so mancher Großtat in der Band-Historie ernsthaft fragen, ob die Welt nun wirklich ein neues Green-Day-Album braucht. "This feels like Green Day" soll Billie Joe Armstrong gedacht haben, bevor er seinen Bandkollegen Mike Dirnt und Tré Cool "Bang bang" zeigte. Tatsächlich wollte man einen solchen Sound eigentlich schon 2004 nicht mehr hören und bekam ihn beim nächsten Album trotzdem schon wieder als Vorab-Single in Form von "Know your enemy" vorgesetzt. Rein textlich greift "Bang bang" aus der Sicht eines Attentäters, der einfach nur ein wenig Ruhm möchte, sicherlich ebenfalls zu kurz. Glücklicherweise kurbelt der Opener "Somewhere now" die Ambitionen mit ein paar Wendungen, der starken Eröffnungszeile "I'm running late to somewhere I don't want to be" und einer starken Hook ein gutes Stück weit nach oben, weshalb die erzeugte Aufbruchstimmung mitreißt, ohne jedoch etwas Neues zu Green Days Songkatalog hinzuzufügen. Wohin es beim Aufbruch grob gehen soll, klärt der Titeltrack, in dem die angestrebte Revolution als eine Massenbewegung zu neuen Arten der Kommunikation angelegt ist und, natürlich, auf der Seite der sozialen Außenseiter steht. Songstruktur und Textbausteine lassen indes nicht zum letzten Mal extrem an die beiden Rock-Opern von 2004 und 2009 denken.
Diese Parallelen auf die Spitze bringt schließlich das fast sieben Minuten lange und eigentlich aus mehreren Songs zusammengewobene "Forever now", das seinerseits einen Rückgriff auf "Somewhere now" wagt. Allerdings müsste selbst "Jesus of Suburbia" dieser Nummer anerkennend auf die Schulter klopfen, denn auch wenn man das alles schon diverse Male gehört hat, vergisst man doch allzu gerne, dass nur wenige Bands einen solchen Song hätten schreiben können. "Still breathing" hingegen lebt von der simplen Songstruktur mit Ohrwurmgarantie und beschreitet thematisch mit expliziten Bezügen zum Drogenentzug sogar Neuland. Haben Green Day also wieder zu alter Stärke zurückgefunden? Die eher mittelguten Kompositionen "Outlaws" und "Bouncing off the wall" sprechen dagegen. Ebenso das recht einfältige "Youngblood", das dafür, durch Armstrongs Frau inspiriert, wenigstens eine sehr starke Strophe zu bieten hat: "Are you stranded? / Like I'm stranded / Do you want to watch the world fall to pieces? / Are you broken? / Like I'm broken / Are you restless? / She said: 'Fuck you, I'm from Oakland!'" Genau wie in "Ordinary world" sind diese ständigen unbeantworteten Fragen jedoch auch Sinnbild für Green Day 2016. Denn erstmals haben selbst die Herren Dirnt, Cool und Armstrong die Orientierung verloren in diesen "Troubled times", so dass sie nicht mehr jede Antwort kennen. Wodurch die von ihnen geübte Kritik an Biss einbüßt. Aufgegeben hat das Trio trotzdem nicht und kann mit "Revolution radio" ein durchaus gelungenes Werk im Kampf gegen die nächste Windmühle im politischen Leben vorlegen, selbst wenn es sich phasenweise wie ein Best-of aus dem Green-Day-Baukasten anhört. Schließlich kämpft man gegen Windmühlen auch immer mit denselben Waffen. Wenn das Meisterwerk diesmal also ausgeblieben ist, Trump im Umkehrschluss dafür aber auch nicht Präsident wird, können die drei Herren mit dem Resultat wohl auch sehr gut leben. (Quelle: Laut.de)


Tracklist:
1. Somewhere Now
2. Bang Bang
3. Revolution Radio
4. Say Goodbye
5. Outlaws
6. Bouncing Off the Wall
7. Still Breathing
8. Youngblood
9. Too Dumb To Die
10. Troubled Times
11. Forever Now
12. Ordinary World


Clip:
Revolution Radio

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