Joan of Arc - 1984



Die Ironie lässt sich wohl kaum verleugnen: Ausgerechnet jenes Album, bei dem Tim Kinsella mal die Zügel aus der Hand gab und seine Bandkollegen etwas mehr in den kreativen Prozess einband, bekam den Titel "He's got the whole this land is your land in his hands" verpasst. Geholfen hat es nur bedingt: Das insgesamt 20. Werk von Kinsellas gefühlt 30. musikalischem Projekt konnte weder an alte Glanztaten wie etwa das 2003er-Album "So much staying alive and lovelessness" anknüpfen noch völlig losgelöst von jeglicher Bandhistorie wirklich irgendetwas reißen. Umso erstaunlicher scheint es, dass der Chicagoer Indie-Tausendsassa das Wagnis nicht nur einfach noch mal eingeht, sondern gleich noch eine gute Schippe Risiko drauflegt. Auf "1984", das nur rund eineinhalb Jahre nach "He's got the whole this land is your land in his hands" erscheint, tritt Kinsella fast vollkommen aus dem Rampenlicht und lässt einer anderen den Vortritt.
Auftritt Melina Ausikaitis, seit 2015 fester Bestandteil von Joan Of Arc und normalerweise für Background-Vocals und Gitarre zuständig. Ausikaitis' kindlicher Gesang gibt dem sonst so experimentell-verkopften Indie-Rock-Sound, den Kinsella seit Mitte der Neunzigerjahre über seine eigenen Bands hinaus entscheidend mitgeprägt hat, eine beinahe ungewohnt naive Note. Das funktioniert mal besser, in der bluesig-croonenden Vorabsingle "Truck" etwa, oder auch im reduzierten "Maine guy", das eher eine leicht melodische Erzählung als ein wirklicher Song ist. Andernorts gelingt der Versuch eines Frontleader-Austauschs weniger glücklich: So sträubt sich "Vertigo" hörbar dagegen, beim Hörer wirklich auf Wohlwollen zu stoßen oder überhaupt gegen ein zumindest kurzzeitiges Festsetzen im Ohr. Nahtlos geht das Stück über in "Punk kid", das mit Alternative-Pop-Anleihen durchaus mit Ironie zu spielen versucht, aber auch aufgrund Ausikaitis' zwar ganz hübscher, jedoch – im Vergleich zu Kolleginnen wie Fiona Apple oder Cat Power – recht kraftloser Stimme kaum einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen vermag.
Das ist wohl auch das größte Problem, an dem "1984" hier und da deutlich krankt: Haben Joan Of Arc in der Vergangenheit wahrlich nicht immer den richtigen Ton getroffen oder in ihrer immerhin auch schon zwei Jahrzehnte andauernden Karriere nur Gutes hervorgebracht, so war ihr Sound doch immer von hohem Wiedererkennungswert. Und sei es nur, dass man dahinter stets Kinsella erahnen konnte. "1984" gelingt das wenig bis gar nicht. Das ist an so mancher Stelle nicht mal zwingend tragisch: Das dream-poppige Instrumentalstück "Psy-fi/Fantasy" weckt überraschenderweise wohlig-verschlafene Erinnerungen an Mazzy Star, und das von der Psychedelik geküsste sowie vom Americana aufgefangene "Vermont girl" ist ein wirklich gelungener, durch Mark und Bein gehender Glanzauftritt von Ausikaitis. Die ist offenbar einfach noch dabei, die Schuhe einzulaufen, mit denen sie fortan in Kinsellas Fußstapfen treten soll. Vielleicht wäre es besser, ganz oben anzufangen: Oft ist es zunächst eine Kopfsache. Dann folgen, klar, die Handschuhe.(Quelle:Plattentests)


Tracklist:
1. Tiny Baby
2. Vertigo
3. Punk Kid
4. Maine Guy
5. People Pleaser
6. Psy-fi/Fantasy
7. Truck
8. Vermont Girl
9. Forever Jung


Clip:
Punk Kid

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