Neko Case - Hell-On




"God is not a contract or a guy / God is an unspecified tide / You cannot time its tables / It sets no glass and gables." Was Neko Case ganz am an Anfang von "Hell-on" dichtet, hat sie zuvor selbst am eigenen Leib erfahren müssen. Während sich die The-New-Pornographers-Mitbegründerin zwecks Aufnahmen ihres fünften Solo-Albums in Schweden befand, brannte ihr amerikanisches Anwesen ab. Durch spontane Selbstentzündung in der Scheune, ihr "God" referiert also nicht nur abstrakt auf den unerwarteten Schicksalsschlag, sondern ganz konkret auf die unkontrollierbaren Launen der Natur. Doch von Verbitterung oder Wut ist nichts zu spüren. "Have mercy on the natural world", fordert Case, während der zuvor so mit bedrohlichem Bass und subtilen Streichern brodelnde Song plötzlich die Arme ausbreitet. "You'll not be my master / You're barely my guest", heißt es später noch, gesungen als Agentin einer ursprünglichen Umwelt, die dem Menschen für seine kultivierenden bis zerstörenden Eingriffe sicherlich keine Einladung geschickt hat.
"Hell-on" ist ein Album voll von Reflexionen über falsche Besitzansprüche und fehlgeleitete Kontrollversuche, vom bereits abgehandelten Verhältnis von Mensch und Natur bis zur historischen Degradierung von Frauenrollen. Die mehrfach Grammy-nominierte Singer-Songwriterin macht dabei nichts nennenswert anders als zuvor, spannt ihre analytische Poetik noch immer in ein Gerüst aus Alternative Country, sanftem Midtempo-Rock und 80er-Pop-Anleihen. Und doch kann man hier von ihrem möglicherweise besten Solo-Werk bisher sprechen, nicht nur, weil ihre Musik gefühlt noch verspielter und dringlicher geworden ist, sondern auch, weil ihr Selbstverständnis eine neue Art von Reife erlangt hat. Case rechnet nicht nur mit anderen, sondern gerade auch mit sich selbst ab wie im siebenminütigen Herzstück "Curse of the 1-5 corridor", ein mäanderndes Duett mit Mark Lanegan, das ein Nick Cave kaum intensiver hätte inszenieren können. Ihr nostalgischer Blick auf eine verlorene Liebschaft geht nicht gerade sparsam mit Kritik am Partner um, dennoch konstatiert sie auch immer wieder "It's not your fault" und gesteht sich ihre eigene Neigung zur Destruktivität nicht nur ein, sie vermisst sie sogar.
Besagter Song bildet seine inhaltliche Zerrissenheit auch ästhetisch wunderbar ab, stellt einem sonnigen Country-Pop-Refrain exzessive Ausbrüche von Gitarre und Piano entgegen. Auch an anderen Stellen gehen Musik und Text natürliche Symbiosen ein. Im unglaublich zwingenden "Oracle of the maritimes" etwa, das Cases finales "Come on sweet girl, let's find you an ocean / That goes with your eyes", wie immer größer werdende Flutwellen hereinbrechen lässt. Ohnehin ist "Hell-on" meisterhaft in seiner Dynamik, Case weiß genau, wann sie zupacken und wann loslassen muss, wann ihre Stimme und wann die fokussierten, sich nie aufdrängenden Arrangements mehr Raum bekommen müssen. "Last lion of Albion" ist der lauteste, hymnischste und wohl auch beste Song, The-National-Drums poltern ein treibendes Folk-Stück nach vorne, das sich immer wieder dezente kleine Synth- oder Gitarrensoli einweben lässt. Am anderen Ende des Spektrums steht "Sleep all summer", ein herzzerreißender, aber nicht kitschiger Schmachtfetzen der amerikanischen Band Crooked Fingers, den Case hier gemeinsam mit deren Frontmann Eric Bachmann vorträgt.
"Winnie" ist ein schunkelndes Piratinnen-Liebeslied, "Bad luck" zelebriert luftigen, synthetischen Erwachsenen-Poprock, während "Halls of Sarah" die Misogynie der Musenschaft entblößt und ein Saxophon durch den Song jagt, das wie aus dem letzten PJ-Harvey-Album gerissen klingt. Obwohl es durchaus Referenzpunkte vorzuweisen hat, steht "Hell-on" ganz unprätentiös immer für sich – erstaunlich, wenn man bedenkt, dass gefühlt die halbe amerikanische Indie-Musikszene daran beteiligt war: Background-Gesang von unter anderem Beth Ditto, Laura Veirs und Go-Betweens-Fronter Robert Forster, Calexicos Joey Burns an der Gitarre und Songwriting-Anregungen von Cases New-Pornographers-Kollegen Carl Newman. Vielleicht war es diese Anwesenheit zahlreicher Mitmusikerinnen und –musiker, die den Kreativgeist der Amerikanerin so beflügelt und ihre Elaboriertheit in Melodieführung und Sprache zur absoluten Spitze getrieben hat. Bis ganz zum Schluss hält sie ihren Überraschungsdrang aufrecht, wenn das finale "Pitch or honey" nach sphärischen Drumcomputer-Strophen plötzlich das Tempo anzieht und ausrastet: "I love you better when you're wild." Wir Dich auch, Neko. Aber anders kennen wir Dich ja auch gar nicht.(Quelle:Platentests)


Tracklist:
1. Hell-On (04:09)
2. Last Lion of Albion (03:42)
3. Halls of Sarah (03:50)
4. Bad Luck (03:54)
5. Curse of the I-5 Corridor (06:57)
6. Gumball Blue (04:10)
7. Dirty Diamond (03:37)
8. Oracle of the Maritimes (04:24)
9. Winnie (03:50)
10. Sleep All Summer (05:11)
11. My Uncle's Navy (04:12)
12. Pitch or Honey (04:27)


Clip:
Bad Luck

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