Frightened Rabbit - Painting Of A Panic Attack
Lepra, Blut und rollende Köpfe. Knochen, gefunden im heimischen Garten. Verletzungen aus dem Kampf Mann gegen Bestie. Frightened Rabbit musizierten stets am menschlichen Körper entlang, sezierten fein säuberlich die Befindlichkeiten und fanden dafür drastische Metaphern: "I'm drunk, I'm drunk / And you're probably on pills / If we both got the same diseases / It's irrelevant, girl" hieß es schon vor acht Jahren im fantastischen Song "Keep yourself warm" auf "The midnight organ fight". Die Schotten kehrten das Innere stets nach Außen, machten keinen Hehl aus den Narben, Wunden und Abschürfungen, die man eben so erleidet im Laufe eines Großstadtlebens. Auch auf ihrem fünften Album "Painting of a panic attack" folgen Scott Hutchison und Co. dem leidvollen Pfad, singen von Alkoholsucht, kaputten Gebeinen und Gelenkschmerzen nach dem Aufstehen. Und doch sind Frightened Rabbit sicherlich keine Band fürs Altersheim: Ihre Songs sind kleine Dramen, narrativ, verspielt und hart. Poesie als Katharsis, Kunst aus dem Verderben heraus. Vermutlich trifft ihre Musik auch deswegen so ins Herz, durchdringt Mark und Bein, wühlt den Magen auf, setzt sich im Hirn fest, schießt ins Ohr, wenn man mal wieder einen rabenschwarzen Tag erwischt hat.
Stilistisch hingegen hat die Band durchaus den ein oder anderen Richtungswechsel vorgenommen. Der trockene Folkrock der Anfangstage ist heute nicht viel mehr als das Grundgerüst der Songs, die nun opulenter instrumentiert sind, auch mal Pop zulassen, wenn dies nötig erscheint. Nichtsdestotrotz bleibt Hutchisons Songwriting auf einem extrem hohen Niveau, mit melodischen Verschiebungen, orchestralen Nadelstichen und Refrains zum Niederknien, wenn einem ebendies noch schmerzfrei möglich ist. Mit jedem Album wuchsen Frightened Rabbit ein wenig weiter, bekamen mehr Selbstbewusstsein, eine breitere Brust und eine größere Armspannweite. Das mag dem ein oder anderen Anhänger der ersten oder zweiten Stunde vielleicht missfallen, aber so, wie der Mensch mit jeder Erfahrung reift und sich Stück für Stück verändert, so entwickeln sich eben auch ausgemachte Lieblingsbands weiter. "Painting of a panic attack" ist dementsprechend ein Update vom Update vom Update: Zeugnis einer gelungenen Evolution und Beweis dafür, dass man auch mit dem fünften Album noch berühren kann wie am ersten Tag. Dass die Schotten wohl nie wieder die grandios-intime Intensität von "The midnight organ fight" erreichen werden, kann kein Grund sein, die neue Platte zu verschmähen. Denn in den letzten Jahren kam lediglich Sufjan Stevens' Nostalgie-Meisterwerk "Carrie & Lowell" an die fesselnde und atemraubende Qualität der besagten LP heran.
Die Platte, an der Frightened Rabbit mit The-National-Mastermind Aaron Dessner gearbeitet haben, beginnt mit dem prophetischen "Death dream": Ein melancholischer Song, der mit Pianoklängen beginnt, Hutchison singt in Kopfstimme zarte Verse darüber, bis sich die Atmosphäre langsam verdichtet, die Nummer fast unmerklich lauter wird, die Gitarren im Hintergrund graue Schattierungen hinzufügen. Zum Ausbruch kommt es nicht, es schwelt unter der Oberfläche, gute vier Minuten lang, bis man letztlich aus dem Traum erwacht. Ohne Sturz aus höchsten Höhen, ohne Schmerz. Mit dem folgenden "Get out" schlagen Frightened Rabbit dann eine andere Route ein, straight forward, ein klassischer Rocksong aus der Feder Hutchisons: Er will ein Mädchen vergessen, unweigerlich aus der Erinnerung löschen, doch er bekommt sie nicht aus dem Herzen, sie hat sich in seine Seele eingebrannt, tief und fest, vielleicht sogar für immer. Wer von uns läuft ohne solche Brandmarkungen durch die Welt? Wer kann behaupten, völlig ohne jene Dämonen zu sein, die dereinst verheißungsvoll eine glänzende Zukunft versprachen, mittlerweile aber den Schlaf rauben?
Frightened Rabbit richten den Blick auf das Zwischenmenschliche, auf die Codes und Interaktionen zwischen Individuen, sie erzählen von Hoffnungen und Katastrophen: "I wish I was sober" startet beispielsweise mit Klavier und Drums, die Stimmung erinnert hier, wie auch sonst auf "Painting of a panic attack", ein wenig an das Œuvre der Editors, dramatisch steigert sich der Song immer weiter in die Sucht, die hier sinnbildlich steht für vieles, was schief laufen kann. Im Leben, in einer Beziehung, im eigenen Kopf, wenn man nicht klar sieht. "Woke up hurting" verhandelt hingegen ein Gefühl der Entfremdung: Unvermittelt tritt der Schmerz ein, direkt nach dem Aufwachen, beinahe eine kafkaeske Situation, würde auf instrumentaler Ebene nicht die Sonne durch das tiefe Wolkendickicht scheinen. Auch dies ein Trademark der Schotten: Ihre Stücke lassen auch immer ein wenig Restraum für den Silberstreif am Horizont, spenden bei aller offensichtlichen Ausweglosigkeit immer noch Mut. Dies drücken sie nicht allein mit Worten aus, sondern finden auch auf musikalischer Ebene Mittel und Wege. Und so ist auch der zunächst etwas deprimierend wirkende Albumtitel eine Spiegelung jener gemischten Gefühlswelt, in die man als Einzelner oft gerät: Zwischen Schönheit und Verderben, zwischen dem Stechen in der Brust und den Schmetterlingen im Bauch, liegen oft nur ein paar Momente. Wenige Bands bringen dies besser auf den Punkt als Frightened Rabbit. (Quelle: Plattentests)
Tracklist:
1. Death Dream (4:06)
2. Get Out (3:21)
3. I Wish I Was Sober (3:22)
4. Woke up Hurting (3:54)
5. Little Drum (3:29)
6. Still Want to Be Here (3:52)
7. An Otherwise Disappointing Life (3:55)
8. Break (2:59)
9. Blood Under the Bridge (3:55)
10. 400 Bones (3:53)
11. Lump Street (5:00)
12. Die Like a Rich Boy (3:22)
13. The Wreck (3:10)
14. Wait 'Til the Morning (3:18)
15. A Lick of Paint (3:42)
Clip:
Get out
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