Udo Lindenberg - Stärker als die Zeit
"Konsequenz hat einen Namen – und der fängt mit U an." Uschi Glas? Ursula von der Leyen? Glücklicherweise nicht. Die Zeile entstammt "Stärker als die Zeit", der neuen Platte von Panikpräsident Udo Lindenberg, dessen Vorname zweifelsfrei mit "U" beginnt. Die Aussage schließt praktisch nahtlos an an sein "Ich mach' mein Ding, egal was die anderen sagen." Dazwischen liegen mittlerweile acht Jahre. Lindenberg, der unmittelbar vor seiner ausgerufenen Deutschland-Tour im Mai 2016 seinen 70. Geburtstag begeht, lebt seinen zweiten musikalischen Frühling. Nach Jahren der Missachtung, der Misserfolge und auch der missratenen Songs schlug "Stark wie zwei" ein wie ein Komet. Lindenberg war wieder da. Präsenter denn je, erfolgreicher als jemals zuvor: Inklusive einer Live-Platte, MTV-unplugged-Album sowie dutzender Gold- und Platin-Auszeichnungen.
"Es ist nie zu spät, um noch mal durchzustarten / Weil hinter all den schwarzen Wolken wieder gute Zeiten warten", führt Lindenberg im Opener ein Selbstgespräch. Das dialogische Element, was sich auch im Video der Single, die von Alexander Zuckowski – ja, der Sohn von Rolf – mitgeschrieben wurde, visuell nachvollziehen lässt, rührt von Lindenbergs persönlicher Rekapitulation der Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre, seiner Karriere, seines Lebens. Und so wirkt das 35. Studioalbum des 69-Jährigen wie eine Autobiographie. Sicherlich unvollständig, beheimatet es doch geschlossene Episoden. Würde er nicht zwischenzeitlich beteuern "Einer muss den Job ja machen" und "Ich schwör', dass ich für immer dem Rock 'n' Roll und Euch gehör'" – es formte ein würdiges, weil auch gelungenes Abschiedsalbum.
Der wohl exzentrischste Individualist unter Deutschlands Rockern gibt sich auch auf dem Album so, wie man ihn als Künstler erleben darf: mit Schalk hinter der Brille und dem notwendigen Ernst unterm Hut. Es berührt durchaus, wie er im Opener durch das Tal der schweren Zeiten schreitet, "Muss da durch" konstatiert und den einsamsten Moment verspürt, wenn er – bewacht von seinen Eltern Hermine und Gustav – auf der Bühne vor 50.000 Leuten steht und anschließend im Hotelzimmer Schreckensmeldungen über den Fernsehbildschirm flimmern sieht. Verschmitzt lächelnd bedankt sich der Teilzeit-Hamburger dann persönlich mit einem Hit bei seinem "body", den er mit Alkohol und sonstigen Drogen herausgefordert hat. Gut, dass er selbst als "Dr. U" und "Dr. Feeel Good" in Personalunion Krankenscheine unterschreibt. Der "Spezialist für Udologie" reicht Patienten gerne die "Panikinfusion": "Ihr Herz ist aus dem Rhythmus, seien Sie nicht geschockt / Meine Diagnose: Sie sind völlig unterrockt."
Mehr noch als bei vielen anderen Künstlern sieht man beim Hören der Platte den Musiker Lindenberg vor sich. Ndöpdöpdödö. Wie er seine Lippen nach vorne fährt, zu einem Fischmund formt, Keith Richards eine französische Aussprache verpasst, Rock 'n' Roll hingegen komplett eindeutscht und manche Buchstaben bewusst überhart und mit einer hingepfefferten Laszivität betont, etwa "Schlot" und "Loch" in "Mein body und ich". Ja, Lindenberg, das ist auch ungekünstelte, textliche Sinnlichkeit. Man erinnere sich an "Ich fand Dich so erregend" aus "Cello". Auf "Stärker als die Zeit" hat ihn, den Atheisten, die Göttin gläubig geküsst. Die Muse indes knutscht Lindenberg nicht. Man einigt sich, angefangen bei lehrbuchhaften Pop-Arrangements à la "Plan B" bis zum sinfonischen Ausklang des Titeltracks, auf verliebtes Händchenhalten.
"Stärker als die Zeit" ist ein Lindenberg-Album mit typischen Lindenberg-Songs, die sich vermehrt im Pop-Rock-Bereich bewegen, etwas Blues und Rock 'n' Roll bewahren, Gitarren-Soli einbauen, dem balladenhaften Auftreten Uptempo-Nummern gegenüberstellen und schwanken zwischen Live-Feuerwerk Marke "Dr. Feeel Good" und einem Nachdenklichkeits-Sherry zu "Wenn Du gehst" am Kaminsims. Ein Stilwechsel hätte dieser Retrospektive auch nur geschadet. Album 35 kommt zwar geschliffener daher als "Stark wie zwei", trägt aber auch ganz viel persönliche Geschichte in sich. Die abgeschmackt präsentierte "Coole Socke" hält nicht ohne Stolz ein "Blaues Auge" ins Ohrwurm-Rampenlicht und zeigt in "Kosmosliebe", dass ein Lindenberg sich auch immer politisch positionieren kann. Er bleibt der einzig wahre Panikpräsident der CSUDO (Charismatische, selbstreflektierte Unterhaltungen deutscher Oldtimer).(Quelle: Plattentests)
Tracklist:
- Durch die schweren Zeiten
- Plan B
- Einer muss den Job ja machen
- Eldorado
- Göttin sei Dank
- Der einsamste Moment
- Blaues Auge
- Mein body und ich
- Wenn Du gehst
- Coole Socke
- Muss da durch
- Wenn die Nachtigall verstummt
- Kosmosliebe
- Dr. Feeel Good
- Stärker als die Zeit
Durch die schweren Zeiten
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