Black Keys - Turn blue


Schon der erste Song auf „Turn Blue“, dem achten Album der Black Keys, ist eine Ansage. An die sieben Minuten dauert er. So lang wie noch kein Lied des früher notorisch hart an der Zwei-Minuten-Grenze schrammenden Duos. Das sehnsüchtige Pfeifen einer Farfisa-Orgel gepaart mit einer sanften Akustikgitarre führt hinüber in eine psychedelische Traumwelt. Die auch aus persönlichen Gründen ziemlich elegisch ist: Sänger und Texter Dan Auerbach hatte vor Entstehung des neuen Albums eine sehr durchwachsene Zeit. Dem beruflichen Erfolg stand das private Desaster einer hässlichen Scheidung mit Sorgerechtsstreit und Selbstmordversuch seiner Ex entgegen.Diese ambivalente Grundstimmung prägt das bislang beseelteste Album der Black Keys. „Never ever had a pure love, and never no cure from“, heißt es im famosen Opener in formvollendetem Falsett. Die Conclusio? „Don't give yourself away to the weight of love.“ Ja, schön wäre es, wenn die ostentative Unbeteiligtheit, mit der die Black Keys ihre Auszeichnungen entgegennehmen und Termine wie Interviews und Fotoshootings absolvieren, auch auf das echte Leben umzulegen wäre! Für die hohe Kunst des musikalischen Trosts wäre das freilich schlecht: Die Black Keys sind Meister in der Verwandlung der existenziellen Schlacke in pure Euphorie. Trotz der Troubles klingen sie ekstatischer denn je. Auf „Turn Blue“ schafften sie es mithilfe ihres Produzenten Danger Mouse, ihren sandigen Blues-Rock mit reichlich Popzauber zu versehen. Statt bloß Schlagzeug, Bass und Gitarre in den Dienst zu nehmen, setzten sie mit viel Liebe allerhand Vintage-Instrumentarien ein. Diese Verfeinerung schadet ihrem Ungestüm nicht. Ausschließlich retro waren sie  nie. Von Beginn an waren sie hörbar von Hip-Hop-Beats fasziniert. Nach dem „Blakroc“-Projekt von 2009, das sie mit ihren alten Hip-Hop-Helden RZA und Q-Tip aufnahmen, war dieser Einfluss erfolgreich exorziert. Seither flirten sie immer heftiger mit Psychedelica, Blaxploitation und Motown-Soul, schließlich bergen auch diese Genres einiges Trostpotenzial gegen die Unbilden des Lebens.
Die Black Keys ziehen bei ihren Beutezügen durch die amerikanische Tradition viel weitere Kreise als ihr großer Konkurrent, Retro-Blues-Superstar Jack White. Wo dieser den alten Neil Young jüngst für dessen kunstvoll verrauschte Scheibe „A Letter Home“ in einen Voice-O-Graphen, eine uralte Aufnahmebox in der Größe einer Telefonzelle, lockte, steht den Black Keys der Sinn mehr nach State-Of-The-Art-Sounds à la Danger Mouse. Trotzdem ist White, der wie Auerbach und Patrick Carney in Nashville wohnt, ziemlich paranoid, was die Black Keys anbelangt. Zuletzt ließ er gar seine Sprösslinge aus dem Kindergarten entfernen, in den auch Auerbachs Tochter Sadie geht. Er habe „einfach keine Lust, womöglich zwölf Jahre lang auf Elternabenden neben dem Arschloch zu sitzen, das mich kopiert und sich in meine Welt drängt.“ Statt solche Attacken zu kommentieren, konzentriert sich der introvertierte Auerbach lieber auf seine Fremdproduktionen: Nach dem Riesenerfolg seines Dr.-John-Albums „Locked Down“, betreute er zuletzt Ray LaMontagne und Lana Del Rey. Da werden zwar auch ausgiebig amerikanische Mythen abgeklopft, aber nie bloß aus Nostalgie, sondern um zu prüfen, was davon noch gilt.
In diesem Sinne ist „Turn Blue“ zwar nicht innovativ, man hört aber die redliche Bemühung, neue Territorien abzustecken. Zu den Highlights zählt das bizarr orchestrierte „Year In Review“. Zum quietschigen Sound eines Siebzigerjahre-Pornofilms fragt Auerbach nach der Essenz seines Liebeshungers: „Why you always wanna love the ones who hurt you?“ Dazu lassen es die Black Keys so subtil scheppern wie noch nie. Fazit: „Turn Blue“ beweist, dass Scheidungsalben, wie es einst Dylans „Blood On The Tracks“ oder Marvin Gayes „Here, My Dear“ waren, ein durchaus spannendes Genre sind.(Quelle: die Presse)

Tracklist:
1. Weight Of Love
2. In Time
3. Turn Blue
4. Fever
5. Year In Review
6. Bullet In The Brain
7. It's Up To You Now
8. Waiting On Words
9. 10 Lovers
10. In Our Prime
11. Gotta Get Away

Clip:
Fever

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