Xiu Xiu - Forget




Salopp gesagt hat Jamie Stewart einen Hau. Seit fünfzehnJahren veröffentlicht er mit wechselnder Begleitbesetzung unter dem Namen Xiu Xiu Alben, die sich kunstvoll jeglicher Einordnung entziehen. Seine Lyrik ist dabei wie seine Musik: zügellos, exzentrisch, teils ziemlich irre. Und doch versprüht sein Werk einen Charme, der Huldigung einfordert. Es gibt zahllose Bands, die von Xiu Xiu beeinflusst wurden – doch niemand klingt wie das Original. Auch nicht im Jahr 2017. Nachdem die Band im Vorjahr dem Twin-Peaks-Soundtrack Tribut zollte, kehrt sie nun zu ihrem Kerngeschäft zurück. Zehn neue Songs enthält "Forget". Zehn Tracks, die Stewarts Status als Unikat alternativer Musik untermauern.
Wie es sich für einen latent Wahnsinnigen geziemt, fällt der Künstler direkt mit der Tür ins Haus. "The call" eröffnet das Album mit hektischem Sprechgesang und quietschenden Geräuschen, bevor er die Ausfahrt in Richtung Synthiepop nimmt. "Clap, bitches!", faucht der Sänger. Eine Aufforderung, der Folge geleistet werden muss. "Wondering" schlägt in eine ähnliche Kerbe: Der Midtempo-Song verbindet im Refrain grummelnde Analog-Synthies mit jauchzenden Chören, sodass er beinahe hoffnungsvoll daherkommt. Wohlgemerkt: beinahe. Die mögliche Erlösung kommt, aber erst eines Tages. Vielleicht. In der Welt des Jamie Stewart ist nur die Unsicherheit gewiss.
Doch der US-Amerikaner kann es auch subtil: "Get up" lässt sich viel Zeit. Zu unaufdringlichen Feedback-Schwaden meditiert Stewart über die Wechselwirkung von Liebe und Unglück. "You're the only reason I was born", lautet sein Fazit – und ein grandioses Finale sorgt für ergriffenes Schweigen. Der Grat zwischen großer Geste und übertriebenem Pathos ist schmal. Auf diesem wandelt auch das zerrissene "Hay choco bananas". Es knarzt und ächzt gewaltig im Gebälk, doch gelingt es dem Musiker, gerade noch diesseits der Psychose aus dem Chaos zu stolpern.
Die Lage ändert sich dramatisch in der zweiten Hälfte des Albums: Immer zerklüfteter werden die Arrangements, immer instabiler die Songstrukturen. "At last, at last" wartet beispielsweise mit genug Dissonanzen für eine neue Persönlichkeitsstörung auf. Dass auf die Eskalation der Crash folgt, ist nur folgerichtig. Er lautet "Petite", ist eine zappendustere Ballade mit Akustikgitarren und Streichern und zieht einem den Boden unter den Füßen weg. "Forget" ist ein Album über das Fallen. Konzeptionell folgt es einem klaren Spannungsbogen, der im Abgrund endet. In der Welt des Jamie Stewart besteht dieser aus Glockengeläut und einem Monolog über das Ich: "It doesn't matter what you think / You can do anything you like / 'Cause I was born dead / And I was born to die", lauten die letzten Worte. Clap, bitches.(Quelle: Plattentests)


Tracklist:
  1. The call
  2. Queen of the losers
  3. Wondering
  4. Get up
  5. Hay choco bananas
  6. Jenny GoGo
  7. At last, at last
  8. Forget
  9. Petite
  10. Faith, torn apart


Clip:
Get up

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