Pohlmann - Weggefährten



Gisbert zu Knyphausen hat es geschafft. Er hat das Echte, das Nahbare, die Prise gefühlte Wirklichkeit scheinbar spielerisch leicht und ohne viel Heckmeck ins Liedermacher-Genre zurückgeholt. Dabei beschränkte er sich prinzipiell auf die Basics, die schon bei Reinhard Mey oder Hannes Wader ausreichten: Gitarre und lebensnahe Sehnsüchte. Solange es etwas zu erzählen gibt, funktioniert dieser Minimalismus. Ingo Pohlmann ging stets den entgegengesetzten Weg: Immer großes Plattenlabel, immer viel Radio-Airplay für diese schnöden Nummern ohne Tiefgang. Die Sache mit dem Label ist immer noch so und die schmissige Radionummer verkauft sich als Panoramabild in "Himmel und Berge". Dennoch teilen sich die beiden sanftmütigen Gitarrenfreunde jetzt erstaunlich mehr als ein gemeinsames Instrument und einen ähnlichen Haarschnitt.
Um dahinzukommen hat Pohlmann das Tutti-Frutti-Wohlfühllevel entscheidend reduziert. Das beginnt direkt mit dem fast acht Minuten langen Auftakt "Im Wald nebenan": Mit der Pole-Position auf der Tracklist und der Betonung des Übergangs in "ein neues Jahrtausend", fühlt man sich unweigerlich an den traurig-schönen Klassiker zum Jahreswechsel "Neues Jahr" des Kritikerlieblings zu Knyphausen erinnert. Noch eindeutiger scheint "Silvestermond" auf diesen Zug aufspringen zu wollen. Konkrete Neujahrsvorhaben garnieren die jährliche Zahlenwechselei. Dazu bildet die Zeile "Und ich hab vergessen, dich um Mitternacht in den Arm zu nehmen" eine Art Antithese zur Nummer von Knyphausen, welche die einfache Umarmung auf der emotionalen Schlachtbank ausbreitet. Diese Überschneidungen in der Bildsprache ziehen sich durch die gesamte Platte. Vor allem in den ersten Stücken nehmen sie schier überhand. Wenn in "Lichterloh" die Vergänglichkeit durchgespielt wird, leuchtet ein "Seltsames Licht" aus "Hurra! Hurra! So nicht." den Weg.
Hin und wieder geraten die Ausflüge ins Schwermütige dann doch zu abgedroschen. Bei über einer Stunde Spielzeit kein Wunder. Da ist schonmal Schwund. Trotzdem wirkt dieser gesamte Pohlmann-Kosmos samt seiner Weggefährten um einiges langlebiger als der der schwindsüchtigen Vorgänger. An diesem Punkt seiner Karriere steht der Sänger der Tragik deutlich näher als dem Trampolin. Die neuen Makel stehen dem "Captain mit Sonnebrille" definitiv gut. Auch wenn längst nicht alles Gold ist, was glänzt. An der großherzigen Intensität eines zu Knyphausens schrammt er noch oft vorbei. "Passiert" verwurstet dessen Songs "Erwischt" und "Dreh dich nicht um" zu einem – wenn überhaupt – passablen Abklatsch. Das Weniger an krampfhaften Star-Wars-Zitaten wertet das Gesamtwerk trotzdem spürbar auf. Der echte Gisbert zu Knyphausen hat immer die Sieben abgestaubt. Dafür reicht es dann doch noch nicht. Es ist ein schleichender Prozess. (Quelle: Plattentests)


Tracklist:
  1. Im Wald nebenan
  2. Lichterloh
  3. Silvestermond
  4. Ich will, dass Du mitgehst
  5. Deine Tränen
  6. Sweet Granada
  7. Passiert
  8. Captain mit Sonnenbrille
  9. Geplatzter Knoten
  10. Vor Deiner Tür
  11. Gelassenheit
  12. Himmel und Berge
  13. Gedanken und Blumen
Clip:
Himmel und Berge

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