Angels & Airwaves - The dream walker


Es passierte vor über elf Jahren: Tom DeLonge, damals weltbekannter Pop-Punk-Rotzlöffel, verlor die Lust auf eben jenes Image und entdeckte, dass neben den drei Akkorden doch tatsächlich ein ernstzunehmender Songwriter in ihm steckt. Was danach passierte, ist bekannt: Blink 182 veröffentlichten ihr Selbstbetiteltes, das einzige auch heute noch ohne Fremdscham anhörbare Album, DeLonge fühlte sich zu Höherem berufen, gründete Angels & Airwaves und schwebte von dort an in Sphären, die "nie zuvor ein Mensch jemals gesehen hat." Seitdem verbindet man mit seinem Namen statt simplen Dreiminütern Cinemascope-Breitwand-Sounds und ein stets (über)ambitioniertes Drumherum. Kein Album von DeLonges AvA-Truppe kommt ohne begleitenden Film oder überbordendes Konzept ("Love", anyone?) aus, keine Geste ist für sich groß genug, um nicht noch bis zum Bersten aufgebläht zu werden. Geblieben sind vom bisherigen Œuvre ein paar gute Stücke, viel heiße Luft und vor allem jede Menge Schmonz mit Hang zum Größenwahn.
Die Erwartungen an das neue Album "The dream walker"? Entsprechend gedämpft. Die Verwunderung über den gegenüber dem Rolling Stone geäußerten Satz "I think we needed something that would turn heads and ignite a fan base of post-hardcore punk-rock kids that might still be lingering there from my earlier years."? Kaum in Worte zu fassen. Hat er da gerade "Post-Hardcore" gesagt? Machen Angels & Airwaves jetzt in Krach? Ja und nein. Von Post-Hardcore ist dieses neue Machwerk natürlich in etwa so weit entfernt wie... – ach, lassen wir das. Abseits der hier beliebig einsetzbaren abgedroschenen Vergleiche tanzt "The dream walker" aber sehr wohl sanft aus der Reihe. Natürlich kredenzt man weiterhin zumeist mit allerlei Synthie- und Keyboardfeatures zugekleistertes Midtempo, natürlich eröffnen die ersten Töne von "Teenagers and rituals" das Album breiter als Tim Wiese (ja, der musste sein). Trotzdem springen dem Hörer einige Neuheiten direkt ins Gesicht. Da wäre die simple Tatsache, dass "The dream walker" seine Songs weitaus zügiger auf den Punkt bringt und dementsprechend schon nach schlanken 40 Minuten ins Ziel kommt. Logische Konsequenz: Angels & Airwaves klingen fokussierter denn je. Keine ausuferndern Instrumentalparts mehr, kein strapaziöses Intro-Geplucker, nur noch Songs. Das Resultat ist das vielleicht stärkste Album der Band.
Da wabert der erwähnte Opener, nachdem er erst mal in die Pötte gekommen ist, unerwartet beschwingt nach vorne, da präsentiert sich "Paralyzed" als die eingängigste Nummer, die jemals unter dem AvA-Banner das Licht der Welt erblickt hat. Und auch abseits dieses rundum gelungen Einstiegs-Doppels hat "The dream walker" so einiges zu bieten. Den unwiderstehlichen Refrain von "Tunnels" etwa, den so einfach nur DeLonge auf die Kette bekommt. Oder das ungewohnt düster-elektronische "Kiss with a spell". Oder den Schlusstrack "Anomaly", eine simple Akustikballade. Gleichzeitig ein angenehmer Kontrast zum stets leicht überkandidelten Rest. Und wenn die Band zur zweiten Albumhälfte "Mercenaries" raushaut, muss man doch unweigerlich an Blink 182s "Neighborhoods" denken. Das klingt nämlich nicht nur nach dem jüngeren Blink-Output, es steckt selbigen bisweilen auch in die Tasche.
Abgerundet wird "The dream walker" aber von DeLonge höchstpersönlich. Der hat sich für diese Platte nämlich getraut, seinen AvA-Songbaukasten gehörig zu entrümpeln. Die vielleicht prominentesten Opfer: Der Hang, mit jedem Song ein kleines Epos zu erschaffen. Und (endlich!) die immer, immer und immer gleiche, flirrende Gitarrenfigur, die von "Valkyrie missile" bis "Behold a pale horse" in minimaler Variation bislang so ziemlich jeden Song der Band begleitete. Was "The dream walker" auch zum abwechslungsreichsten Album dieser Band macht. Und für all diejenigen, denen das hier alles zu positiv erscheint: Natürlich kommt auch diese Platte nicht ohne begleitendes Animationsfilmchen aus. Natürlich sollte man über die lyrische Seite großteils den Mantel des Schweigens legen. Und natürlich führt DeLonge seine Melodien genau so, wie man das von ihm kennt. Wer sich daran aber gewöhnt hat, bekommt ein Album, das die abgehobenen Angels & Airwaves wieder in der Realität ankommen lässt. Und viel Freude bereitet. Willkommen zurück. (Quelle: plattentests)

Tracklist:
  1. Teenagers and rituals
  2. Paralyzed
  3. The wolfpack
  4. Tunnels
  5. Kiss with a spell
  6. Mercenaries
  7. Bullet in the wind
  8. The disease
  9. Tremors
  10. Anomaly

Clip:
Tunnels

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