Wolf Parade - Cry cry cry




Wolf Parade waren im Grunde immer strukturell Arcade Fire. Schon das umwerfende Debüt "Apologies to the Queen Mary" gemahnte oft deutlich an "Funeral" und erwies sich zuweilen sogar als noch ein bisschen besser, auch "At Mount Zoomer" und "Expo 86" enthielten mit "California dreamer" oder "Cloud shadow on the mountain" Lieblingslieder zuhauf. Doch die Kanadier hatten anderes im Sinn als den Pop-Olymp und einen Majordeal: Spencer Krug züchtete als Moonface Elektro-Kraut und Klavier-Rüben, Dan Boeckner ließ bei Handsome Furs die Synthies bimmeln, vermittelte mit Operators zwischen "Blue wave" und New Wave – von der Supergroup Divine Fits mit Spoons Britt Daniel ganz zu schweigen. Resultat: sieben Jahre "indefinite hiatus". Und nun mit "Cry cry cry" ein viertes Album, mit dem man schon fast nicht mehr rechnen konnte. Oder wollte?
Denn nicht nur bei The Shins gestaltete es sich zuletzt schwierig, der Holzfällerhemden-Variante des alten Affen Indie-Rock neue Tricks beizubringen. Und ist ein Song wie der saftige Gniedel-Kracher "What did my lover say? (It always had to go this way)" überhaupt noch zu toppen, zumal Timothy Showalter ihn mit Strand Of Oaks im ähnlich aufgesetzten und ebenso fantastischen "Same emotions" inzwischen endgelagert hat? Sind Wolf Parade noch relevant? Der Vierer aus Montreal begegnet solchen Fragen mit Gleichmut – und im überschwänglichen Opener "Lazarus online" mit wallenden Piano-Akkorden, die auch andernorts immer wieder aufploppen. Dazu kratzen sich schüchterne Licks aus dem Grab des Titelhelden, ehe das Stück temporeich zu rebellieren beginnt. "Let's rage against the night" – und trotzdem ist alles erleuchtet. Geht doch.
Das delikate Wechselspiel aus verschwenderischem Breitwand-Pomp und stolz gepeinigter Grandezza beherrscht der Vierer aus Montreal also weiterhin meisterhaft – und ist zudem schlau genug, mit dem auf Keyboard und flinkem Riff getupften "You're dreaming" oder "Artificial life" ein paar sorglose Klopfer rauszutun, damit "Cry cry cry" nicht gar zu nahe am Wasser gebaut ist. "Valley boy" lässt die Instrumente zwar in den höchsten Tönen jubilieren, fragt aber auch besorgt "Are you still a lover boy? / Are you still under cover boy?", während sich plötzlich die verqueren Gitarrenschlaufen von Televisions "Marquee moon" aus dem komplex verwobenen Arrangement schälen. Und wie Wolf Parade einen Klassiker des Proto-Punk zitieren, um ihn sogleich in einen bangen Liebesknochen von einem Rocksong einzubauen, zeugt genauso von Klasse wie von schrägem Witz.
Ein Fest für den an Death Cab For Cutie erprobten Produzenten John Goodmanson, der alle Hände voll zu tun hat. Nach der Harmlosigkeit antäuschenden Halbballade "Flies on the sun" wartet mit "Baby blue" ein stürmisch paukender Hit, bei dem sich fleischfressende Orgel und Bläsersätze gegenseitig hochjazzen, "Weaponized" dreht noch ein Stück weiter auf und verfängt sich nach der Hälfte in versponnenem Prog-Taumel – nein, zu wenig passiert auch auf "Cry cry cry" nicht. "Am I an alien here" hat dank Psych-Gejaule und elektronischen Schleierwolken die Birne sogar so weit in der Stratosphäre, dass "King of piss and paper" sie zum Schluss mit allerlei Kraftausdrücken freipusten muss, und mit klarem Kopf weiß der Hörer dann: Wolf Parade sind gar nicht Arcade Fire. Sondern die Band, mit der man auch nach sieben Jahren rechnen muss. (Quelle:Plattentests)


Tracklist:
  1. Lazarus online
  2. You're dreaming
  3. Valley boy
  4. Incantation
  5. Flies on the sun
  6. Baby blue
  7. Weaponized
  8. Who are ya
  9. Am I an alien here
  10. Artificial life
  11. King of piss and paper
Clip:
You're dreaming

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