The Gathering - Disclosure


Werden wir erwachsen, auch als kindliche und kindische Musiknarren: Vermutlich gibt es keinen besseren Ersatz für Anneke als Silje, und zu schreiben, sie bleibe eben nur ein Ersatz, wäre insofern unfair, als man den übrigen Musikern damit ihre Existenzberechtigung als Band abspräche. Diese wurde schließlich nicht von der ehemaligen Sängerin gegründet, und warum THE GATHERING persönlichen Präferenzen dieses oder jenes Fans zum Trotz mit „Disclosure“ alles richtig machen, also nicht zur Karikatur verkommen, hat mehrere Gründe.

Experimente, die zu Giersbergen-Zeiten vermutlich als Sakrileg begriffen worden wären, etwa eine zusätzliche männliche Gesangsstimme im leicht elektronischen, aber einstweilen sehr harten „Meltdown“ (im Übrigen auch mit keineswegs nebensächlicher Trompete), wagt man heute umso bereitwilliger, wo „The West Pole“ noch nach Angst um die eigene Legitimation klang. „Heroes For Ghosts“ klingt mit seiner markanten Refrainmelodie nach einer Rückbesinnung auf „Souvenirs“, wartet aber zum Ende hin mit einem ungeahnten, wiewohl vorübergehenden und darob umso nachdrücklicheren Stimmungswechsel auf. In gut elf Minuten ist so etwas auch bitter nötig, wobei man THE GATHERING auch nicht attestieren muss, keine Längen hervorzukehren – davor waren sie bisher auf keinem (!) Album gefeit, und „Missing Seasons“ ist eine zum Glück kurze Piano-Ballade, die bestenfalls zum verschnaufen dient, genauso wie das Finale „Gemini II“ abgesehen von nett ätherischen Sound-Schlieren und zu unverbindlichen Gesangslinien zu wünschen übriglässt.
Saustark in puncto Arrangement (schwermütig hypnotisch und doch raumgreifend) wie Gesang (rein technisch darf man Silje mit Hinblick auf die emotionale Umsetzung nicht an die Stimmbänder pinkeln) ist indes „Gemini I“ ausgefallen. Der zweite Longtrack „I Can See Four Miles“ zeigt sie mit dunkler Stimme teilweise als glaubhaften Vamp, während die Hintergrundmannschaft erst nach der Hälfte der Spielzeit andeutet, wozu sie in Zukunft bestimmt noch zwangloser in der Lage sein wird: Aufgebaut wird ein lärmender, cineastischer Klangwall in den Dimensionen von AMPLIFIERs Debütalbum, und dass man Siljes Stimme hierbei vermisst, stellt sicherlich kein schlechtes Zeichen dar.
Die gehauchten, schmachtenden Gesangslinien von “Paper Waves” (faszinierende klangliche Wandlung von einer sanften Ballade zum kratzigen, fast noisigen Popper) oder dem PAATOS-artigen „Paralyzed“ sind jenen von „früher, als alles besser war“ nicht unähnlich – ein weiterer Beweis dafür, wer kompositorisch, Öffentlichkeitswahrnehmung hin oder her, den Ton bei THE GATHERING angab: die Ruttens, allen voran René, der wieder produziert hat. Wer davon abgesehen kolportiert, die Holländer klängen mittlerweile wie ihre vorwiegend skandinavischen Abziehbilder (ENSLAVEDs Arve Isdal als Engineer mag Wasser auf die Mühlen geben) und verwässerten ihren Sound mit Trip Hop, der sei noch einmal daran erinnert, dass sie diesen Sound selbst aus der Taufe gehoben haben und sich auch schon mit der säulenheiligen Abtrünnigen auf PORTISHEAD und Co. verstanden. Nichts Neues also, und wenn die wie auch immer geartete Szene einer Band aufgrund von eingebildetem Liebesentzug so schnell den Rücken kehrt, sagt dies viel über unsere oberflächliche, herzlose und unloyale Zeit aus.
FAZIT: Im Hause THE GATHERING bleibt alles anders, und für den Fan gilt: Stell die Uhr auf Null, wasch den Glauben im Regen. Die Sintflut ist verebbt, die Sünden vergeben.

Tracklist:
Paper Waves

Meltdown
Paralyzed
Heroes For Ghosts
Gemini I
Missing Seasons
I Can See Four Miles
Gemini II

Clip:
Meltdown


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