Frightened Rabbit - Pedestrian Verse


“Wann ist der Mann ein Mann?”, fragte sich Herbert Grönemeyer im Jahre 1984 und ist damit nicht der einzige Mann in der Popkultur, der sich mit den Ansprüchen bzw. Erwartungen an ihn und seine Geschlechtsgenossen auseinandersetzt. Ob nun knallharter Cock-Rocker oder sanfter Schmusesänger mit Fönfrisur - die Herren der Schöpfung haben es anscheinend nicht leicht, wenn sich sogar unser Schnuckel der Nation, Matthias Schweighöfer, filmisch auf die Suche nach seiner Männlichkeit begeben muss. Wie gut, dass man im Zweifel einfach auf Klischees zurückgreifen kann. Scott Hutchison - Frontmann und Texter der aus Schottland stammenden Frightened Rabbit - zeichnet auf Pedestrian Verse ein Männerbild, das uns aus so mancher Liebeskomödie bekannt vorkommen sollte: ungehobelt, unkommunikativ, bindungsunfähig - und äußerst liebenswert.
Pedestrian Verse (zu deutsch: langweilig, umständlich, prosaisch) ist das vierte Studioalbum des in Glasgow beheimateten Quartetts. Die Band existiert bereits seit 2004, doch der Durchbruch gelang erst mit dem wunderschön melodischen “Swim Until You Can’t See Land” von The Winter Of Mixed Drinks (2010). Hutchison nimmt mittlerweile allerdings Abstand von seinem Drittling: “The last record was purposefully open and vague in its imagery. But I wanted to write dense poetic songs again.” Und so beginnt der Opener von Pedestrian Verse “Acts Of Man” mit verheißungsvollen, zunächst schleppenden, tiefen Klaviertönen, in die sich nach und nach ein absteigender Gitarrenlauf mogelt. Der Protagonist gibt den “Dickhead”, der die beste Freundin seiner Liebsten mit Wein umwirbt und mit fleckigen Schuhen ins Büro geht. Doch trotz all dieser Unzulänglichkeiten, versucht er doch noch der Ritter in weißer Rüstung zu werden: “Not Heroic But I Try”. Bereits hier lässt sich erkennen, dass “Prosaische Verse” wohl die treffendste Übersetzung des Albumtitels ist. Hutchison hat sich in der Tat von jeglicher verkopften Methaphorik losgemacht und erzählt frei von der Leber weg von ganz alltäglichen Gedanken - nüchtern und ungeschönt.
Die folgenden drei Songs “Backyard Skulls”, “Holy” und “The Woodpile” sind prädestinierte Single-Auskopplungen. Hier demonstrieren Frightened Rabbit - zumindest musikalisch - wieder eindrucksvoll ihren Hang zur Indie-Hymne. Hallige Gitarren, die Akkorde in Vierteln runterschlagen, das treibende Schlagzug und der obligatorische Off-Beat-Schellenkranz. Doch über diese Standardzutaten erhebt sich dann eine Hookline, die da genau auf den Punkt so mitreißend und konsequent ist, wo Kollegen wie Fanfarlo oder Wintersleep noch das letzte Quentchen Hitgespühr fehlt.
Abseits dieser Ohrwürmer verbergen sich die wahren Perlen auf der zweiten Albumhälfte. “Dead Now” besitzt untypisch für den Rest der Platte eine 50er-altertümlich anmutende Ästhetik. Wieder werden Selbstzweifel laut und die Bitte, den Mann trotz seines unanständigen Verhaltens (“I Will Piss On Your Front Porch”) und seiner Sprunghaftigkeit nicht von der Bettkante zu stoßen. Doch das wahre Beziehungsdrama entfaltet sich erst in “State Hospital”. Obwohl die Fronten verhärtet sind (“Her Heart Beats like A Breezeblock”), ist keiner bereit, aufzugeben. Musikalisch bewegt sich der Song in einem Spannungsfeld zwischen schwebenden Akkorden, Paukenschlägen und einem flimmernden Keyboard, bis sich im Schlussrefrain in Hutchisons eindringlicher Stimme alle angestaute Energie entlädt. Doch wer denkt, Frightened Rabbit hätten an dieser Stelle bereits ihr Pulver verschossen, wird vom todtraurigen “Nitrous Gas” überrascht, durch das sogar die darauf folgende Reprise zum fröhlichen “Housing” einen morbiden Anstrich bekommt. Nach all diesem Auf und Ab kommen Frightened Rabbit in “The Oil Slick” leichtfüßig zu einem versöhnlichen Ende: “I Think We’ll Be Fine”.
Wie Matthias Schweighöfer gönnt uns also auch “Pedestrian Verse” ein Happyend, jedoch ohne den faden Beigeschmack. Hutchison meistert den schmalen Grad der Beschreibung eines simplen Gefühlszustandes, der aber nie banal wirkt. Frightened Rabbit schmettern Hymnen unter der ständigen Gefahr, ein musikalisches Klischee zu viel zu bedienen oder durch ihre fette Produktion in plumpen Pomp abzurutschen. Die Geschichten, die die Schotten erzählen, sind nicht konstruiert oder kitschig sondern ehrlich, unumwunden, rau und wunderschön. Somit besticht “Pedestrian Verses” vor allem durch den Mut zur Intuitio. (Quelle: Q-Radio)

Tracklist:
1. Acts Of Man
2. Backyard Skulls
3. Holy
4. The Woodpile
5. Late March, Death March
6. December's Traditions
7. Housing (In)
8. Dead Now
9. State Hospital
10. Nitrous Gas
11. Housing (Out)
12. The Oil Slick

Clip:
State Hospital

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