Dillon - The Unknown



Plötzlich ploppt da ein Gedanke auf: Ist Dillon jetzt die moderne Version einer Marlene Dietrich? Was das Hirn da geritten hat, muss man vielleicht mal ausführen. Es geht nicht um den Gesang und schon gar nicht um die musikalische Ausrichtung auf Dominque Dillon de Byingtons zweiter Platte. Vielmehr führt ein kolportiertes Setting zu dem Vergleich, in dem die 25-Jährige am Mikrofon steht und nicht am Klavier sitzt – in die Reihe trauriger Pianofrauen, so sagt sie in einem Interview, will sie gar nicht aufgenommen werden. Und da steht sie nun, Texte aus "The unknown" vortragend, während sie beinahe passiv zur Kenntnis nimmt, was an zweifelsfrei elementarem Pianoklängen und elektronischer Sublimierung um sie herum passiert. Würde heute Marlene Dietrich nicht auf gleiche Art fragen: "Sag mir, wo die Blumen sind"?
Wem das dann doch zu weit hergeholt, abstrakt und wenig aussagekräftig genug ist, dem sei schlicht Dillons gewachsener Minimalismus ans Herz gelegt. Die gebürtige Brasilianerin tiptapt nicht mehr, die Zahnbürste verstaubt wohl im Badezimmerschrank und der einst besungene Alexander ist auch verschwunden. Wie viel subjektive Färbung "This silence kills" vor zweieinhalb Jahren auch hatte, ist nunmehr sekundär, denn heuer öffnet sich "The unknown" dem Universalismus. Die von Dillon als Gedichte verfassten Texte sind genderneutrale Schablonen, befüllbar mit so wenig und so viel Interpretation wie möglich und nötig.
Wo "Hey beau", "Thirteen thirtyfive" oder "Tip tapping" auf dem Vorgänger noch eine gewisse Leichtigkeit innewohnte und der Begriff Pop zumindest immer greifbar war, entledigt sich "The unknown" dieser Grundlage fortwährend. Das durchaus ohrwurmtaugliche "A matter of time" mal vielleicht ausgenommen, sind die vorliegenden zwölf Stücke vielleicht treffender zu beschreiben als konzeptionelle Songcollagen. Vielleicht auch nicht. Ein Gerüst aus Text, Klaviertönen, Melodieminiaturen, Dillons spaßbefreiter Stimme und viel, viel, viel Raum. Platz für das Unbekannte, für "The unknown" und für Tamer Fahri Özgenenc und Thies Mynter (Phantom/Ghost, Das Bierbeben), die Dillon erneut zur Seite stehen.
Mit Bässen, die beispielsweise "Lightning sparked" die Magengrube ausräumen, mit einem schallgedämpften Metronom auf Speed in "Evergreen" oder einem Hobel für pfeifende Kunststoffrohre in "Don't go". "Nowhere" zieht es in Techno-Clubs, wo "In silence" Hausverbot hat – es sei denn Lykke Li ist an diesem Abend Türsteherin. In "Currents change" wabern Synthiestränge, die mit brutaler Breite bereits den Titeltrack umkrempelten, während es aus "You cover me" blechern und eisern tropft. Wie wäre es, Lady Gaga? Wollen wir nicht DAS einfach Art Pop nennen? (Quelle: Plattentests.de)

Tracklist:
1. The Unknown
2. A Matter Of Time
3. You Cover Me
4. Forward
5. In Silence
6. 4ever
7. Evergreen
8. Into The Deep
9. Don't Go
10. Lightning Sparked
11. Nowhere
12. Currents Change

Clip:
A matter of time

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