Hinds - I Don't Run




Nein, fürwahr: Weglaufen müssen Carlotta Cosials, Ana Perrote, Ade Martin und Amber Grimbergen alias Hinds sicher nicht. Schon gar nicht nach ihrem kauzig-schrammeligen und einfach erfrischenden Debüt "Leave me alone", das 2016 das Licht der ansonsten eher maskulin dominierten Gitarrenband-Welt erblickte. Und das dem Girl-Quartett entgegen des Titels natürlich nicht Ignoranz, sondern Respekt und reihenweise wohlwollende Kritiken einbrachte. Andererseits hätten die Damen mit Hektik oder unkoordinierten Bewegungen auch nicht eine solche von Lässigkeit dominierte Cover-Pose hinbekommen. Eine Pose, die hintergründig allerdings keine ist, sondern lediglich selbstbewusst zum Ausdruck bringt, was der Vierer der Welt auf dem schwierigen zweiten Album mitteilen möchte: Wir sind und bleiben hier, sind keine Lari-fari-Eintagsfliege, die sich mit einer erfolgreichen Platte über die Jugendzeit oder mit ein bisschen Sex-, Drugs-und-Rock'n'Roll-Lifestyle zufriedengibt.
Im Gegenteil, letzterer Teil der jüngeren Bandgeschichte war sogar maßgebliche Inspiration für die Songs auf "I don't run", die im Subtext meist von den Erfahrungen zehren, die Hinds auf ihrer weltumrundenden Tour zum Debüt erlebt haben. Die Single "New for you" greift mit dem zugehörigen Musikvideo und der Fußball-Metapher zielgerichtet die Rolle einer Frauenband im Männerzirkus auf, bringt aber auch zum Ausdruck, dass die Extremsituationen der letzten Monate, das Sich-beweisen-Müssen, das vermeintliche Niedlichsein, das teilweise Belächeltwerden und ja, auch ernstere Formen des Alltags-Sexismus die vier Freundinnen zusammengeschweißt und jede für sich zu gereiften Persönlichkeiten geformt haben. Die Reflexion geht dabei so weit, dass Cosials eigene Verhaltensweisen, das Erlebte und auch den Umgang damit, selbstkritisch hinterfragt: "Sometimes I see myself / And I can’t stand my show".
Ihren in "To the morning light" zuckrig-gemütlichen und manchmal wie im polternden "Rookie" auch herrlich überdrehten Garagerock haben Hinds über all die wilden Monate zum Glück nicht abgelegt. Nein, eher haben sie ihn stellenweise perfektioniert, sodass sich der freche Opener "The club" mit coolem Gitarrensolo und fein tarierten Riffings als eine Art zierliches The-Strokes-Stück entpuppt. Das folgende "Soberland" hingegen hütet das juvenile Chaos des Erstlings, hier überschlagen sich nicht nur die Stimmen der Frontröhren Cosials und Perrote, nein, zum Refrain hin es wirkt ein wenig so, als würden sich die vier Damen die Mittelfinger reckend um ein einziges Mikro balgen. Herrlich! Auch der Ohrwurm "Tester" gibt sich befreit, im hymnischen Refrain gar himmelhoch jauchzend, und ordnet eine Romanze aus dem selbstbewussten Blickwinkel ein: Drüberstehen und schauen, wohin diese Testphase sich entwickeln mag.
"Finally floating" ist ein für Hinds-Verhältnisse fast erwachsener Rocksong, setzt auf clever arrangierte Strophen, schichtet den Chorus über den Vorrefrain und untermalt mit farbenfrohem Gitarrensolo auch eine gewisse musikalische Abgeklärtheit, mit der die Spanierinnen auf ihrem Zweitling zu Werke gehen. Abgeklärt nicht im Sinne von mutlos oder gar langweilig, nein, eher steht das im Grunde feine Stück stellvertretend für einen etwas seriöseren Rahmen, der das Chaotische der vier wilden Damen ordnet. Dem mit jugendlicher Impulsivität eingegrätschten Spagat zwischen wildem Garage-Rock und verschrobenen Surf-Pop-Momenten à la "I feel cold but I feel more" einen Rahmen gibt. Für den ebenfalls professionelleren Klangrahmen zeichnet sich für "I don't run" kein Geringerer als Produzent Gordon Raphael (The Strokes, Regina Spektor) mitverantwortlich. Ja, Hinds sind natürlich noch da, inzwischen sogar eine richtige Rockband. Das schwierige zweite Album ist ihnen geglückt. Ob das Pendel weiterhin nach oben ausschlägt oder nach unten, entscheidet Album Nummer drei. Oder besser: das, was Hinds daraus machen.(Quelle: Plattentests)


Tracklist:
  1. The club
  2. Soberland
  3. Linda
  4. New for you
  5. Echoing my name
  6. Tester
  7. Finally floating
  8. I feel cold but I feel more
  9. To the morning light
  10. Rookie
  11. Ma nuit
Clip:
The Club

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