British Sea Power - Let the dancers inherit the party



Sie müssen sich fühlen wie die Kinder auf einer ungleich verteilten Wippe, die Songs der zweiten Hälfte von British Sea Powers "Let the dancers inherit the party". Wenn man sich vorstellt, dass auf der anderen Seite die dicken Blagen des vorderen Teils sitzen und damit unweigerlich dafür sorgen, dass die Gegenseite keinen Fuß auf den Boden bekommt. Doch der Reihe nach. Der sechste Longplayer der Mannen aus Brighton (Soundtracks und andere Nebenschauplätze nicht mitgerechnet) zollt unter anderem auf dem hieroglyphenhaltigen Cover dem Hannoveraner Dada-Künstler Kurt Schwitters Tribut, dessen Gedichtversätze auch bei den Konzerten der Band gerne eingewoben werden. Schwitters setzte den Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte zwischen den Weltkriegen beispielsweise folgendes entgegen: "Fümms bö wö tää zää Uu / Uu zee tee wee bee fümms." Weil das ja klar ist. Und British Sea Power sorgen auf "Let the dancers inherit the party" zunächst ebenfalls für reichlich Kopfkratzen.
Denn das Sextett proklamiert sich auf der Single "Keep on trying (Sechs Freunde)" mehrfach, endlos, bis zur Püreewerdung des Gehirns, als ebendiese "sechs Freunde". Dank der leicht windschiefen Aussprache klingt das wie "Sexfreunde" und sorgt bestenfalls für pubertäres Kichern. Immerhin eine Reaktion, denn der Rest des Songs ist wahrlich einfach vollkommen egal. Schlimmer wird es davor in "International Space Station", dem vielleicht schlechtesten Song, den British Sea Power je aufgenommen haben. Ekelhafter Keyboardschleim wird vom stampfenden Beat großzügig in der Hörmuschel verteilt, in der Bridge wird der Songtitel ausgiebig buchstabiert. Waren die schon immer so seicht und platt? Man erkennt sie in der ersten Hälfte kaum wieder vor lauter Zuckerguss und Turtelei. Auch wenn dann und wann gefällige Momente aufblitzen, holt das die Kohlen nicht mehr aus dem Feuer. Wie würde Schwitters sagen? "Banalität ist jeden Bürgers Zier."
Womit wir bei den Songs sind, die auf der Wippe von den Moppeln in der Luft gehalten werden. Denn wer sich durch die unbequemen "sechs Froindäää" am Anfang der Platte geboxt hat, wird reich belohnt. Das sphärische "Electrical kittens" ummantelt seine wunderbare Melodie mit Soundschwaden und bleibt herrlich unkonkret. "Saint Jerome" schafft zum Ende hin den Absprung von seinem flotten Rock in einen noisigen Part und erinnert – endlich! – auch daran, dass die Band auf ihrem Debüt "The decline of British Sea Power" ein gewisses 14-minütiges Lärmepos im Gepäck hatte. Und das majestätische "Praise for whatever" macht den Hattrick komplett und gleitet über eine beatlastige Bridge in den karthatischen Schlussteil. Vielleicht der beste Moment auf "Let the dancers inherit the party", welches seinen Titel im Übrigen von einer Zeile aus diesem Song bezieht.
Alle kleinen und großen Verbrechen dieser Platte sind vergeben und vergessen, wenn "Don't let the sun get in the way" die Sache mit dem Pop tatsächlich richtig hinbekommt und "Alone piano" sich mit dem titelgebenden Instrument und sanft wiegendem Schaukelstuhl-Rhythmus verabschiedet. Vielleicht ist das Sequencing daher auch gar keine so schlechte Idee: Es hinterlässt keinen bitteren Nachgeschmack im Mund und sorgt für ein befriedigendes Happy End. Warum dann allerdings nicht einfach komplett auf manche Seichtigkeit zu Beginn verzichtet wurde, weiß der Geier. Es gibt wenige Platten, die qualitativ mit einer solch großen Schlagseite versehen sind wie "Let the dancers inherit the party". Gehört das möglicherweise zum kunsthistorischen Überbau dazu? Oder soll der harte Kern der Anhänger ausgesiebt werden? Es lässt sich erneut Kurt Schwitters zitieren: "Isn't it strange? / It is." (Quelle: Plattentests)


Tracklist:
  1. Intro
  2. Bad bohemian
  3. International Space Station
  4. What you're doing
  5. The voice of Ivy Lee
  6. Keep on trying (Sechs Freunde)
  7. Electrical kittens
  8. Saint Jerome
  9. Praise for whatever
  10. Want to be free
  11. Don't let the sun get in the way
  12. Alone piano
Clip:
Bad bohemian

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