Jennifer Rostock - Mit Haut und Haar


Auch mit Album Nummer Drei wird das goldene Kalb namens Jennifer Rostock weiter gemolken - irgendetwas muss also dran sein am Erfolg der Berliner. Oder doch nicht? Erneut hat die Redaktion eine ganze Woche mit sich gerungen; Für und Wider einer Platte abgewogen, die Fans begeistert, viele jedoch auch erschaudern lässt. Der dritte Streich von Jennifer Rostock heißt "Mit Haut Und Haar" und wie es der Titel bereits andeutet, wird man dieses Album wohl entweder lieben oder hassen. Hier nun also unser folgerichtiges PRO und KONTRA: PRO Es kommt einem vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass man Jennifer Rostock erstmals auf Festival-Bühnen bestaunen konnte und zu elektronischen Takten das Tanzbein schwingen durfte. Kein Wunder – denn bei gerade mal vier Jahren Banddasein bereits das dritte Album einzuläuten, zeugt von ungebremstem Arbeitseifer. Neben Nominierungen für den GEMA-Autorenpreis durften Jennifer Rostock den deutschen Soundtrack von "Twilight – New Moon" vervollständigen, reisten im Auftrag des Goethe-Instituts nach Brasilien und gaben Supportshows für namhafte Größen wie Udo Lindenberg und Billy Idol. Als Krönung des Ganzen folgt nun auch ein neuer Langspieler. Dem Titel der Platte erweisen sie alle Ehre: erstmals haben die Berliner den Ideen aller Bandmitglieder Bedeutung beigemessen und dabei weder Kosten noch Mühen gescheut. So wurden kurzerhand zum Neujahr 2011 die Koffer gepackt und New York übergangsweise zur Wahlheimat erklärt. An Produzent Chris Badami (Midtown, The Dillinger Escape Plan) war es dann, den Songs das passende Klanggewand zu verleihen. Jennifer Rostock - "Mein Mikrofon" Insgesamt besticht die Platte durch auffallend viel Dynamik. Auf eine Ballade im klassischen Sinne wurde gänzlich verzichtet, wobei Titel wie "Ich kann nicht mehr" und "Zwischen Laken und Lügen" eher an diese Kategorie heranführen sollen. Der Unterschied besteht darin, dass vor allem im Refrain auf rockige, energiegeladene Passagen nicht verzichtet werden sollte. Jennifer Rostock beweisen, dass man Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Angst und Leid auch ohne (ermüdende) seichte, eintönige Klänge ausdrücken kann und das ganz bewusst: Emotionen stehen für Leidenschaft, die man am besten hinausschreien möchte; ehrlich, wütend und frei von Selbstmitleid ist die Devise, welche hier äußerst gelungen vermittelt wird. Mit dem Opener "Der Kapitän" und dem darauf folgenden "Mein Mikrofon" rechnet die Band mit der Musikindustrie, ihrer Oberflächlichkeit und dem aufgedrückten Perfektionismus ihrer Vertreter ab. Synthesizer-Einsätze, harte Gitarrenarbeit und energische Drums verdeutlichen den Ärger und den daraus schöpfenden Mut der Band großartig. In "Es war nicht alles schlecht" zeigt die Band ihr volles Potenzial. Frau Weist besingt das Abschließen eines Lebensabschnittes, wobei sie als klare Siegerin hervorgeht und mit ihrem charakterschwachen Gegenüber abrechnet. Der Hörer bekommt ein Gitarrenbrett entgegengeschleudert, das mit kräftigen Drums und verspielten Synthies umso schlagfertiger wird. Höhepunkt des Titels ist der Gastauftritt des Hardcore-Sängers Nico Webers (War From A Harlots Mouth), der mit Jennifer im Duett zum Gänsehaut-lastigen Finale prescht. Jennifer Rostock - "Es War Nicht Alles Schlecht" Es fällt schwer, den Sound dieser Band zu beschreiben, denn kreativlos sind diese fünf Berliner keineswegs. Eine Punk-Rock-Pop-Elektro-Platte dürfte es wohl in etwa eingrenzen. Es zeigt, dass so ziemlich Jeder auf seine Kosten kommen kann. Auch bisherige Jennifer Rostock-Fans erkennen eines wieder: die Berliner Schnauze Madame Weists und ihre wunderbar ehrlichen Texte. CONTRA Bei Jennifer Weist und ihrem heftig rockenden Band-Schmuckwerk namens Jennifer Rostock stellt sich eigentlich stets die Frage, was mehr Grund zum Kulturpessimsmus bietet: die Musik, die aus unerfindlichen Gründen für sich proklamiert frech, frisch und unverbraucht zu sein; oder der Umstand, dass der Erfolg ihnen Recht zu geben scheint. Album Nummer drei, "Mit Haut und Haar", holt jedenfalls wiederum voll aus: gegen musikalische Beliebigkeit und Oberflächlichkeiten jeder Art, die sich sonst so im Pop-Bizz tummeln. Scheinbar mit der Gnade fehlender Reflektion gesegnet und mit beinahe Respekt abverlangender Vehemenz, bestehen Jennifer Rostock auf der Relevanz ihrer zwölf neuen Songs. Und ja, die Wahl-Berliner präsentieren mit diesem Langspieler zumindest keinen Rückschritt, sondern setzen einfach das fort, was sie am besten können: Nerven und sich selbst abfeiern. "Ich will mich nicht verschanzen / Ich will tanzen auf den Mauern" heißt es in der ersten Single-Auskopplung "Mein Mikrofon". Niemand verbietet Front-Trompete Jennifer ihre Meinung oder hindert sie an der Äußerung selbiger. Wer sich aber ein Mikrofon vor das Gesicht hält und seine Nichtigkeiten derart hinausposaunt, der kann bedauerlicherweise nur schwer überhört werden. Und einen besonderen Grund, ihr zuzuhören, liefert Fräulein Weist zu kaum einem Zeitpunkt der Platte. Bei einer Steilvorlage wie "Niemand nimmt mir mein Mikrofon!" ist man schlichtweg versucht, in Gedanken ein lapidares "Leider!" anzuhängen. Da der lyrische Auswurf aber eh nicht über das Niveau von "Eckstein, Eckstein, alles muss perfekt sein. Ich pfeif' drauf, ich pfeif' mir lieber noch 'n Sekt rein!" hinauskommt, erübrigt sich jede weitere Analyse. Das steht alles schon ganz gut für sich und wer sich hier intellektuell stimuliert fühlt, dem sei der Spaß am Stück nicht genommen. Jennifer Rostock - "Der Kapitän" Musikalisch wagt sich die Kombo wenigstens etwas in ungewohnte Gewässer, wenngleich diese doch genauso seicht bleiben. Neben pop-rockenden, stets vorhersehbaren Dutzend-Songs werden hier und da ein paar mehr Synthies und ungelenk-unterkühlte Electronica-Ausflüge eingestreut. Peinliche Experimente wie die Shouts von War From A Harlots Mouth-Brüllaffe Nico Webers bei "Es war nicht alles schlecht" gibt es noch gratis oben drauf - ganz ehrlich? Jede Whiskas-Werbung vermittelt mehr Aggressivität. Was den Grad an lyrischer Belanglosigkeit und die Dichte austauschbarer Pop-Stücke anbelangt, unterscheidet Jennifer Rostock letztlich nichts von Silbermond, Juli und Co. Sie bräuchten also nicht weiter so zu tun, als wären sie laut, dreckig und unverstanden. Dafür ist die Präsentation viel zu sauber, der Inhalt viel zu glatt und "Mit Haut Und Haar" insgesamt zu simpel. (Quelle: motor.de)

Tracklist:
1. Der Kapitän

2. Es War Nicht Alles Schlecht (Feat. Nico / War From A Harlot's Mouth)
3. Mein Mikrofon
4. Ich Kann Nicht Mehr
5. Lügen Haben Schöne Beine
6. Fuchsteufelswild
7. Insekten Im Eis
8. Mach Dich Aus Dem Staub
9. Wasser Bis Zum Hals
10. Meine Bessere Hälfte
11. Der Horizont
12. Zwischen Laken Und Lügen
13. Hier Werd Ich Nicht Alt


Clip:
Mein Mikrofon

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