Nena - Oldschool


Im Grunde genommen ist Gabriele Susanne Kerner das Stehaufmädchen der hiesigen Musiklandschaft schlechthin. Sie hat die Neue Deutsche Welle überlebt, Eurodance, das Casting von vergänglichen Popsternchen, selbst preußisch strammer R 'n' B ging ihr komplett am Achselhaar vorbei. Stattdessen sah sie ihren Rackern vergnügt beim Aufwachsen zu und schrieb beschauliche Lieder darüber. Und jetzt? Will sie anscheinend noch einmal jedermanns ziemlich beste Freundin aus den Charts werden, auch wenn die Schere zwischen eigenem Alter und Zielgruppe längst einen dammrissverdächtigen Spagat schlagen muss. Die Kinder werden flügge, ergo hat Mutti Nena mehr Zeit für sich und ihre Hobbies. Aber wo sich Töchterchen Larissa inzwischen den kompositorisch fragwürdigen Samy Deluxe zum Anschub der Karriere geangelt hat, fackelte ihre Erzieherin nicht allzu lange und riss sich den Busenfreund des Sprösslings ebenfalls als Albumproduzenten unter den Fingernagel. Kulturschaffende Gemeinschaftsunternehmen im Hause Kerner, die sich irgendwie, irgendwo, irgendwann schon rechnen werden. Doch tun sie das wirklich?
Oberflächlich betrachtet ist "Oldschool" beileibe nicht das zu befürchtende Retro-Bollwerk geworden, das unbeirrt auf der eigenen Schwarte herumkaut. Das titelgebende Breakdance-Gewitter zu Beginn oder der pittoresk groovende Indiepop-Song "Lieder von früher" erinnern an die digitalen Wasserschlachten der Berliner Grossstadtgeflüster. Ebendieser Titel mit seiner peinlichst aufgeräumten Euphorie oder das etwas gelöster rollende "Ja das war's" könnten genauso manchen Werken von Juli oder Mia. entsprungen sein, ohne dass sich die Herkunft zweifelsfrei belegen ließe. Nena hat sicher nicht die eigenständigste, aber immerhin überhaupt eine Nische im heutigen Verdrängungswettbewerb der Charts erklimmen können. Zitierfähiger Pop mit illustren Querverweisen von Jennifer Rostock bis Rihanna, bei dem niemand eine Kulturrevolution erwarten sollte.
Trotzdem schwingt in vielen Songs die Wehmut mit, dass der frühere Tanz auf dem Vulkan heute doch mehr dem auf einer Warmhalteplatte gleicht. Selbst die schier unverwüstliche Frau Nena hat mit Mitte 50 nicht mehr ihre juvenile Unbeschwertheit oder den Pfeffer von einst im Hintern. Das ist nun einmal der Lauf der Dinge. In "Berufsjugendlich" kokettiert sie zwar trotzig mit einer Reminiszenz an ihre NDW-Mitstreiter Ideal, der man die abgebrühten Studiomusiker aber leider anmerkt und die Punkrock allenfalls noch als Faschingsmaskerade, aber bestimmt nicht mehr als Ausdrucksnotwendigkeit begreift. So bleibt auch der rappende Kurzauftritt ihres Produzenten in "Kreis" letztendlich eine hilflose Geste, die nicht zwingend zur Bewusstseinserweiterung beiträgt. Dabei hätte "Oldschool" diese Fettnäpfchen gar nicht nötig, wenn es sich häufiger seiner Stärken bewusst würde, die vor allem im cluesoesken Gänsehaut-Duett "Peter Pan" mit Sohnemann Sakias und dem melancholischen Stubenstampfer "Genau jetzt" liegen. Hier deutet sich eine reifere Nena an, die sich in der Zukunft gerne häufiger zeigen dürfte. Die zwanghaft beste Freundin heutiger Jugendlicher sein zu wollen, sollte sie sich um der eigenen Glaubwürdigkeit willen vielleicht doch besser abschminken. (Plattentests.de)

Tracklist:
1. Oldschool
2. Lieder Von Früher
3. Genau Jetzt
4. Ja Das Wars
5. Betonblock
6. Mach Doch Was Ich Will
7. Berufsjugendlich
8. Sonnemond
9. Jeden Tag
10. Ein Wort
11. Magie
12. Kreis
13. Pi Ich Rechne Mit Allem
14. Peter Pan
15. Bruder
16. Schicksal

Clip:
Lieder von früher

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