Tortoise - The Catastrophist




Tortoise waren schon immer eine unspektakuläre Band. Die Musiker aus Chicago verstanden sich stets darauf, aus minimalen Ideen das Maximum herauszuholen, ohne dabei in Effekthascherei zu verfallen. Trotz aller deutlich hörbaren Virtuosität der Musiker wahrte die Gruppe stets eine verfremdende Distanz zwischen erzeugtem Schall und dem, was möglich wäre. Auf diese Weise nährt sich die Faszination, die von Tortoise ausgeht. Melodien, die beim Nebenbeihören als Gedudel abgetan werden, entpuppen sich bei genauerer Einlassung als Kleinode. Rhythmen, die sich unaufdringlich unter allerhand Geflirre und Gefrickel pflanzen, lullen ein, nehmen gefangen – bis schließlich der Funke überspringt und man nichts außer Anerkennung ob solch überaus gewitzter Kompositionskunst empfinden kann.
Nun haben sich die Amerikaner in den letzten Jahren rar gemacht. Ihr letztes Album "Beacons of ancestorship" ist 2009 erschienen. Dazwischen gab es sehr viel Stille und nur sporadische Live-Aktivitäten. Umso größer ist nun die Erwartungshaltung bezüglich des neuen Werks "The catastrophist". Doch kann und will das Quintett nicht aus seiner Haut. Auf den Putz zu hauen, ist auch im Jahr 2016 nicht das Ding der Männer aus Illinois. Statt der großen Revolution gibt es lediglich Akzentverschiebungen zu hören, jedoch solche, die es in sich haben. "The catastrophist" ist ein ungemein homogenes, der Textur gewidmetes Album geworden.
Ruhe und deren Störung sind die Basis für die meist leitmotivisch angelegten Kompositionen. Die subtilen Neuerungen, die ihren Weg in den Klangkosmos der Band gefunden haben, machen den Unterschied. So dürfen auf zwei Tracks Gastsänger ihre Stimmen erheben, und in beiden Fällen gelingt das Experiment vollumfänglich. David Essex' "Rock on" wird mit dem Gesang des U.S.-Maple-Gitarristen Todd Rittman zu einer brütenden Meditation samt drückender Bläsersätze und eines schwerfällig dahinschwankenden Grooves. Und auch die Yo-La-Tengo-Drummerin Georgia Hubley hievt den jazzigen Song "Yonder blue" ins Reich, aus dem die Träume fallen.
Dennoch stehen primär die instrumentalen Stücke im Fokus. Und auch hier zeigen Tortoise, dass sie noch immer die hohe Kunst der Subtilität beherrschen. "Ox duke" kreist etwa um einen verschleppten Beat; bedächtige Streicher umgarnen lang ausklingende Gitarrenakkorde, während unter der hübschen Oberfläche polyrhythmisches Armdrücken stattfindet. Die gewisse Verkopftheit, die der Musik innewohnt, wird dabei von der Schönheit der Melodien konterkariert. Ihren Höhepunkt findet die Platte in dem Dreigespann aus "The clearing pile", "Gesceap" und "Hot coffee". Ersteres baut Spannung auf, Klaustrophobie macht sich breit, wenn nach den letzten Akkorden düstere Ambientschwaden vorbeihuschen.
"Gesceap" vereint die Kardinaltugenden von Tortoise: Mäandernde Läufe, sich sukzessive überlagernde Rhythmik und kaum merkliche Akzentverschiebungen lassen jede Menge Licht ins Dickicht. Die Zeit scheint stillzustehen. "Hot coffee" überführt diese Stimmung dann in einen anderen Kontext: Distanzierter, grooveorientierter wird das Ohr auf in die Irre führende Fährten geleitet. Ohne jegliche Aufgeregtheit und auch ohne einen großen Knall. Tortoise vertonen das Warten, das Harren. Sie haben Zeit und nutzen sie effektiv. Mit Überbiss und einer Gelassenheit, die auch im sechsundzwanzigsten Jahr des Bestehens der Band nichts von ihrem Charme eingebüßt hat. (Quelle: Plattentests)


Tracklist:
  1. The catastrophist
  2. Ox duke
  3. Rock on
  4. Gopher island
  5. Shake hands with danger
  6. The clearing pile
  7. Gesceap
  8. Hot coffee
  9. Yonder blue
  10. Tesseract
  11. At odds with logic


Clip:
Rock on

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