Spain - Carolina




Sterben die Eltern, gehen mehr als Menschen verloren. Eine Welt zerbröckelt. Lebenswurzeln brechen. Und mit dem Tod des Vaters hat Josh Haden auch seine musikalische Leitfigur verloren. Charlie Haden war stilprägend am Kontrabass. Seine Saiten verliehen dem Jazz einen elastischen Körper und erdeten die Alben von Spain. Das war notwendig, wenn der Junior mal wieder den Lolitas und Kussmündern in Liebesqualen hinterherschmachtete. Als Familienprojekt wurde die Band, schon wegen einigen erotischen Versatzstücken, nie gesehen. Dabei waren es auch oft die Schwestern, die mitsangen oder -geigten. "Carolina" hätte die entsprechende Trauerarbeit werden können. Ist es nicht. Dafür breitet Josh Haden seine Arme weit aus, bis er die großen und kleinen Momente im Leben umarmt. Die Leben anderer faszinieren ihn dabei mehr als das eigene.
"Carolina" begibt sich auf eine Zeitreise und landet in 1875. "Tennessee" schildert eine uramerikanische Geschichte um Siedler im Streit um Ländereien. Sie betrügen sich gegenseitig, was die wimmernde Pedal-Steel-Gitarre verurteilt. Der Song landet nach und nach im Jetzt. Und fragt, was das noch mit jemandem zu tun hat, wenn die Vorfahren in solche Schandtaten verstrickt waren. Spain erweitern ihr Repertoire an wiederkehrenden Themen wie Liebe, Tod, Angst und Nostalgie um diese Zeitverstrickungen. Für den Slowcore, dieses wenig für Abwechslung bekannte Genre, scheint das passend. Auch weil Spain ihren sonst genreüberspannenden Sound entkernen, sie begrenzen sich auf Americana und Country. Hierbei huldigt die Band auch die ersten Karriereschritte des verstorbenen Vaters.
Haden wächst zu einem Geschichtenerzähler, der sich selbst an der filigranen, akustischen Gitarre begleitet. Er leidet mit in der großen Depression, von der sein eigentlich so gefasster Großvater weinend berichtete. In "Battle of Saratoga" halluziniert sich ein Jazzmusiker und Heroin-Junkie auf ein Schlachtfeld des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Von Flammen umringt, schaut er auf eine untergehende Stadt. Dazu marschieren die Drums militärisch stramm. Wenn überhaupt, werden sie auf "Carolina" meist nur gestreichelt. Hadens Schwester weht auf der Geige mit. Die Instrumente bebildern diese Geschichten, machen sie atmosphärisch. Die denkbar unmögliche Zeitreise wird für Josh Haden zu einer Notwendigkeit des Trauerns.
Im schnelleren "Lorelei" krakeelt sich einer der Liebe entgegen, will der Freundin weismachen, dass man gegenüber der gewaltigen Welt nur als Duo gewappnet sei. Die Stimme leidet, bis sie versiegt. Später wird noch die Jugendliebe in "Station 2" bekniet. Ein letzter Blick in ihre Augen, das wär's. Diese gefühligeren Zeitsprünge sind nicht mehr bildhaft. Sie reihen Impressionen aneinander und verschwimmen ineinander. Der Blues-Rock von "For you" bricht diese ruhige Stimmung, bei der sonst die Gitarren und Klavierakkorde verhallen. Die Verlangsamung ist Teil der Zeitreise. "Apologies" bringt auf den Punkt, was "Carolina" überhaupt soll. "There was a witness" wiederholt Haden, bis seine Schwester in dieses Mantra einsteigt. Geschichten sind noch, solange Zeugen von ihnen berichten können. Mit diesem Album werden wir alle zu Zeugen.(Quelle: Plattentests)

Tracklist:
01. Spain – Tennessee (4:49)
02. Spain – The Depression (3:56)
03. Spain – Apologies (4:36)
04. Spain – Lorelei (2:38)
05. Spain – One Last Look (3:21)
06. Spain – In My Hour (3:16)
07. Spain – Battle of Saratoga (4:52)
08. Spain – Starry Night (5:00)
09. Spain – For You (2:59)
10. Spain – Station 2 (5:13)


Clip:
Carolina

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